Malereien in Spanien sind mindestens 40.800 Jahre alt, ergaben neue Datierungen. Als Urheber kommen damit auch unsere Verwandten infrage.

Puente Viesgo. Schön gearbeitete Faustkeile und Knochenwerkzeuge - viel mehr Kultur haben die Neandertaler wohl nicht hervorgebracht. Zumindest nahmen Forscher das bis zuletzt an. Spätestens seit 2011, als Schmuck und Farbreste aus einer Grotte in Süditalien, die jahrzehntelang Neandertalern zugeordnet worden waren, sich doch als Hinterlassenschaften moderner Menschen entpuppten, dominierte (wieder) die These: Die Neandertaler in Europa waren eher primitiv - der moderne Mensch hingegen gab sich schon früh kultiviert: Er musizierte mit Flöten und dekorierte Höhlenwände mit Malerei.

Jetzt bringen neue Erkenntnisse die Forschergemeinde ins Grübeln: Wie ein internationales Team aus Archäologen und Anthropologen im Journal "Science" berichtet, sind Höhlenmalereien aus der Steinzeit in Nordspanien zum Teil mindestens 40 800 Jahre alt und damit etwa 4000 Jahre älter als Gravuren und Zeichnungen von Tieren in der Höhle Abri Castanet in Südfrankreich, die erst kürzlich auf 37 000 Jahre datiert wurden und bisher als die ältesten Höhlenmalereien der Welt galten. Zu dem neuen Befund kamen die Forscher, indem sie die Werke in Spanien - rot umrissene Handabdrücke und ovale rote Flecken - mit einer erst kürzlich verfeinerten Methode neu datierten.

Die Ergebnisse sind deshalb so interessant, weil vor 40 800 Jahren in Spanien und anderen Teilen Europas noch Neandertaler lebten. Zumindest die ältesten Höhlenmalereien in Nordspanien könnten demnach auch von ihnen stammen und nicht - oder nicht nur - von Menschen, schreibt das Forscherteam um Dr. Alistair Pike von der Universität Bristol. Knochenfunde lassen bisher vermuten, dass die Neandertaler vor etwa 40 000 Jahren verschwanden - aus noch ungeklärten Gründen. Der Mensch hingegen, der nach neueren Erkenntnissen vor 45 000 bis 43 000 Jahren in Europa einwanderte und dort etwa 5000 Jahre mit den Neandertalern zusammenlebte, besiedelte nach dem Verschwinden der anderen Gattung den Kontinent.

Im Norden Spaniens lebten Menschen schon vor 41 500 Jahren, sagt Alistair Pike. Demnach lasse die Neudatierung auch zwei weitere Schlussfolgerungen zu: Womöglich brachte der Mensch den Brauch der Höhlenmalerei mit, als er nach Europa kam. Oder er entwickelte diese Kulturtechnik kurz nach seiner Ankunft, vielleicht im Zuge eines kulturellen Wettkampfs mit dem Neandertaler.

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Die Erschaffung von Kunst gilt als Meilenstein in der evolutionären Entwicklung des Menschen. Die ersten Zeichen und Malereien waren womöglich Bestandteil eines symbolischen Verhaltens oder setzten ein solches überhaupt erst in Gang; auch die Entwicklung der Sprache könnte mit frühen Kunstwerken verbunden gewesen sein. Zwar gebe es Hinweise, dass Menschen schon vor 70 000 bis 100 000 Jahren in Afrika Gebrauch von Symbolik machten. Darauf deuteten Funde wie durchlöcherte Perlen, gravierte Straußeneier und Farbpigmente hin, sagt Alistair Pike. "Die frühesten Höhlenmalereien, so scheint es, finden sich jedoch in Europa." Falls sich herausstelle, dass in Nordspanien Neandertaler am Werk waren, wäre dies "ein fantastischer Befund", sagt der Archäologe. Das könnte nämlich bedeuten, dass die Handumrisse auf den Wänden der Höhlen von Neandertalern stammen. "Aber wir werden mehr Proben datieren müssen, um zu sehen, ob das tatsächlich der Fall ist."

Das Team um Pike hatte 50 Malereien in elf Höhlen in Kantabrien im Norden Spaniens untersucht, darunter drei Welterbestätten: El Castillo nahe der Stadt Punte Viesgo, Altamira (eine der bekanntesten Höhlen der Steinzeit; eine Nachbildung ist im Deutschen Museum in München zu sehen) und Tito Bustillo. Als das älteste Werk stellte sich ein mit Ockerfarbe gemalter ovaler Fleck an einer Wand in El Castillo heraus; ihn datierten die Forscher auf mindestens 40 800 Jahre. Die rot umrissenen Handabdrücke darüber sind mindestens 37 300 Jahre alt, ein keulenförmiges Symbol in Altamira entstand wohl vor 35 600 Jahren. Weitere Befunde in Altamira deuten darauf hin, dass die Malerei dort 10 000 Jahre früher begann als angenommen und dass die Wände innerhalb von 20 000 Jahren immer wieder verziert wurden.

In vielen Fällen nutzen Archäologen für Altersbestimmungen die Radiokohlenstoffdatierung (C14-Methode). Sie basiert darauf, dass in abgestorbenen organischen Materialien die Menge an Kohlenstoff 14, einem radioaktiven Isotop des Kohlenstoffs, abnimmt. Die noch vorhandenen C14-Isotope sind messbar. Aus der Anzahl berechnen Forscher das Alter des Materials. Das funktioniert auch bei der Analyse von Höhlenbildern, die mit verkohltem Holz gemalt wurden. Es funktioniert schlecht, wenn die Steinzeitmenschen für ein Bild hauptsächlich Eisenoxide aus rotem Ocker nutzten.

Abhilfe schafft die Uran-Thorium-Datierung. Diese Methode ist mittlerweile so verfeinert, dass Proben von der Größe eines Reiskorns für die Altersbestimmung ausreichen. Durch herabtropfendes kalkhaltiges Wasser haben sich auf einigen Höhlenbildern winzige Calcitkristalle gebildet. Diese Schicht kann höchstens so alt wie die Malerei sein. In den Kristallen sind kleinste Mengen radioaktiven Urans enthalten, die mit der Zeit zu Thorium zerfallen. Weil Forscher wissen, in welcher Zeit Uran zerfällt, messen sie die Menge der Ausgangsisotope und die Menge der Zerfallsisotope. Daraus können sie berechnen, wie lange der Prozess schon dauert - und wie alt der Calcit-Kristall dementsprechend sein muss.