Das Medienverhalten hat sich in den vergangenen Jahren drastisch geändert. Wie Kinder und Jugendliche den Umgang mit digitalen Medien lernen.

Hamburg. Es war nicht allein die stickig-warme Luft, die am vergangenen Donnerstag im Julius-Leber-Forum am Rathausmarkt die Gemüter erhitzte. Sondern auch das Thema des Abends. "Das digitalisierte Kinderzimmer - Was das veränderte Medienverhalten mit uns macht" - so hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung die Podiumsdiskussion überschrieben und dazu zwei Gäste eingeladen, die aus sehr unterschiedlichen Perspektiven die Fragestellung angehen sollten: Nils-Holger Henning, Kommunikationsleiter der Bigpoint GmbH in Hamburg, die Computerspiele entwickelt und weltweit vertreibt, und Prof. Dieter Braus, Direktor der Klinik für Psychiatrie in Wiesbaden, der sich seit vielen Jahren mit dem Einfluss digitaler Medien auf Kinder und Jugendliche beschäftigt. Beide beharkten sich kaum, dafür gab es einige erregte Nachfragen aus dem Publikum.

Die Verunsicherung ist verständlich, beschränkt sich die Mediennutzung von Heranwachsenden doch längst nicht mehr auf klassische Medien wie Zeitungen, Radio und Fernsehen. Vielmehr hantieren heute schon Grundschüler mit Smartphones und Tablets; Ältere kommunizieren zunehmend via Facebook und verabreden sich zu Rollenspielen wie "World of Warcraft" im Internet. Aber ist das eigentlich sinnvoll? Und wenn ja: was ab welchem Alter und in welchem Umfang?

Prof. Dieter Braus wollte zunächst mit einem Irrtum aufräumen, der seiner Ansicht nach besteht: "Viele Eltern denken: Je früher Kinder an digitale Medien herangeführt werden, desto besser können sie später mit diesen Medien umgehen. Dem widersprechen alle Studien. Auch ein Zwölfjähriger, der noch nie mit Medien zu tun hatte, lernt den Umgang mit einem Computer in Windeseile." Bis zum Ende des ersten Lebensjahres brauche ein Kind intensive Zuwendung durch die Eltern, bis zum dritten Lebensjahr zusätzlich möglichst Umgang mit anderen Kindern und bis zum sechsten Lebensjahr unbedingt Kontakt zu anderen Kindern. Eines bräuchten Kinder während dieser Zeit aber nicht: Medien. Erst mit dem Eintritt in die Schule mache es Sinn, Kinder langsam an Medien heranzuführen, sagte Braus.

Andere Forscher meinen, dass es keinen Sinn macht, ein ideales Einstiegsalter zu empfehlen. "Eltern sollten selbst entscheiden, ob ihr Kind in einem bestimmten Alter mit digitalen Medien, etwa einem Gameboy oder einem Computer, umgehen kann und ob es solche Medien tatsächlich braucht, nur weil andere Kinder in der Kita schon damit umgehen", sagt Dr. Claudia Lampert, Erziehungswissenschaftlerin vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg.

Grundsätzlich befürworte sie aber auch den Grundsatz: "Je später, desto besser." Lampert: "Gerade bei Kleinkindern ist es wichtig, möglichst viele Sinne anzuregen, denn nur so lernen sie, die Welt zu begreifen. Das erreicht man nicht, indem man sie vor dem Fernseher parkt oder ihnen einen Gameboy in die Hand drückt." Mit zunehmendem Alter werde es für Kinder wichtiger, ihre Identität zu finden. Dies funktioniere dann weniger über Eindrücke, sondern vor allem über Inhalte und den Austausch mit anderen Menschen. "Da kann es eine gute Sache sein, auch soziale Netzwerke wie Facebook zur Kommunikation und zur Beziehungspflege zu nutzen - vorausgesetzt, dass andere Lebensbereiche nicht vernachlässigt werden", sagt Lampert.

Ob Kinder nun mit vier oder sieben Jahren zum ersten Mal mit Medien in Kontakt kommen - enorm wichtig ist Dieter Braus zufolge, "dass Eltern von Anfang an bei der Mediennutzung vormachen, dass sie sich selbst kontrollieren können". Wenn Papa beim Mittagstisch SMS checkt, auf jede eingehende E-Mail sofort reagiert oder wenn permanent der Fernseher läuft, lernten Kinder nicht, sich bei ihrem Medienkonsum zu zügeln. Ab einem Alter von etwa neun Jahren bestehe bei intensiver Nutzung zumindest prinzipiell die Gefahr, süchtig nach bestimmten Medien zu werden, insbesondere nach Computerspielen. Mögliche Folgen: Kinder und Jugendliche, die Medien sehr intensiv nutzten, das heißt bis zu sieben Stunden pro Tag, hätten weniger soziale Kontakte; zudem würden solche Kinder eher vereinsamen, sagt Braus.

Die Lust auf mehr hängt dem Psychiater zufolge mit unserem Belohnungssystem zusammen. Dieses besteht aus Teilen des Gehirns, die als Reaktion auf bestimmte Reize verstärkt den Botenstoff Dopamin ausschütten, der unter anderem die Lernfähigkeit steuert, aber auch Glücksgefühle auslösen kann. Seit der Steinzeit habe sich das Belohungssystem kaum verändert, sagt Braus. "Damals war das noch kein Problem, weil die Steinzeitmenschen nur selten Glücksgefühle erlebten, etwa wenn sie etwas zu Essen fanden. Heute können digitale Medien solche Gefühle auslösen, es gibt aber keine biologischen Mechanismen, die uns davor schützen, überzureagieren." Insbesondere Computerspiele sprächen das Belohnungssystem gezielt an, indem sie mit immer neuen Levels lockten. Das Problem dabei: "Der Spieler muss sich immer weiter steigern, um das gleiche Lustempfinden zu haben", sagte Braus. Deshalb sei es so wichtig, dass Kinder früh Selbstkontrolle lernten.

Nils-Holger Henning vom Spiele- Hersteller Bigpoint sagte, er halte sieben Stunden Medienkonsum pro Tag für "entschieden zu viel". Eine moderate Nutzung von Computerspielen allerdings könne durchaus lehrreich für Kinder und Jugendliche sein und ihnen neue Kontakte bringen: "Der Teamgedanke ist bei vielen unserer Spiele sehr wichtig. Ein Teil der Spieler trifft sich auch privat. Das Bild vom vereinsamten Computer-Nerd hat sich komplett gewandelt." Wie oft sich Kinder und Jugendliche mit den Spielen seines Unternehmens die Zeit vertrieben, sei aber weder kontrollierbar und beeinflussbar, sagte Henning und verwies auf die Verantwortung der Eltern. Zustimmung erhielt er in diesem Punkt von Dieter Braus. Eltern sollten nicht erst reagieren, wenn ihre Kinder in ein Alter kämen, in dem sie schwerer beeinflussbar seien, sagte der Psychiater. "Die Pubertät kommt nicht überraschend."

Was aber sollten Eltern konkret tun? "Sie müssen nicht Experten für jedes Computerspiel sein, sie sollten aber ihre Kinder bei der Mediennutzung begleiten und dafür sorgen, dass diese in Balance zu anderen Dingen steht", sagt Claudia Lampert. Der Erfolg hänge nicht nur davon ab, möglichst früh Einfluss zu nehmen, sondern auch von der Haltung, mit der Eltern ihren Kindern begegneten. "Man sollte ein Computerspiel nicht von vornherein abwerten, sondern es ernst nehmen, also nicht fragen: Was spielst du denn da wieder für ein sinnloses Spiel? Sondern formulieren: Was fasziniert dich daran?", rät Lampert. Das bedeute nicht, dass Eltern das Spiel gut finden müssten. Aber so gelinge es eher, die Kinder für Probleme zu sensibilisieren und mit ihnen Regeln zu vereinbaren, an die sie sich hielten.