Wissenschaftler untersuchen, ob sich bei Hochwasser vermehrt Schadstoffe aus dem Oberlauf der Elbe im Raum Hamburg ablagern

Hamburg. Bei heißem Sommerwetter schlüpfen Pei-Chi Hsu und Maximilia Kottwitz in schlammfarbene Wathosen und bahnen sich ihren Weg durch eine schmale Schilfzone am Ufer des Mühlenberger Lochs. Sie stapfen in den Schlick, den das Niedrigwasser freigegeben hat, und ziehen mit gezielten Handgriffen eine knapp DIN-A4-große Matte aus dem Modder. Diese sammelte eine Woche lang feine Sedimente für ein Forschungsprojekt, das der Frage nachgeht, wie viele Schadstoffe bei größeren Hochwassern in der Elbbucht gegenüber von Blankenese stranden.

"Bei den Hochwassern 2002 und 2006 flossen deutlich mehr Schadstoffe die Elbe hinab als üblich", sagt Prof. Susanne Heise, Ökotoxikologin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften. "Der vermehrte Abfluss mobilisierte am Oberlauf der Elbe Schadstoffe, die sich dort schon vor Jahrzehnten im Sediment abgelagert haben. Dass dies bei jedem größeren Hochwasser geschieht, ist bekannt. Wir wollen nun untersuchen, inwieweit sich die mobilisierten Schadstoffe im Fluss wieder ablagern. Dazu nehmen wir an verschiedenen Orten regelmäßig Proben: im Mühlenberger Loch, im Naturschutzgebiet Heuckenlock, vor Otterndorf und gegenüber im Neufelder Watt."

Die Frage, wie stark die hiesigen Elbsedimente durch die Altlasten der tschechischen und der DDR-Industrie belastet werden, wenn Hochwasser die Gifte im Oberlauf der Elbe mitreißt, interessiere auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel, betont Heise: "Nach den Prognosen ist mit häufigeren Hochwassern zu rechnen."

Zudem könne der Temperaturanstieg die Schadstoffbelastung des Ökosystems Elbe beeinflussen. Wärmeres Wasser könnte die Belastung verstärken, wenn Algen, Bakterien, Würmer und sonstige Flussbewohner dadurch die Gifte vermehrt aufnehmen. Aber auch eine entlastende Wirkung sei denkbar, so Heise: "Möglicherweise werden die Schadstoffe dann schneller abgebaut."

Wie genau das Zusammenspiel zwischen Klimawandel, Schadstofftransport und dessen Einfluss auf das Leben in der Elbe funktioniert, sei noch nicht erforscht, so Heise. Ihr Projekt im Auftrag der Hamburg Port Authority (HPA) liefere eine Facette davon. Es ist Teil der Klimzug-Nord-Initiative, eines Forschungsverbundes zu möglichen und notwendigen Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in der Metropolregion Hamburg.

Neben dem Einfluss auf das Ökosystem kann eine erhöhte Schadstoffbelastung auch handfeste wirtschaftliche Folgen haben, etwa für die Hafenbehörde HPA. Sie muss das Baggergut, das sie der Elbe entnimmt, teuer an Land entsorgen, wenn die Kontamination zu hoch ist. Die Sedimentqualität könnte auch die Fischwelt beeinflussen, denn das Mühlenberger Loch ist Kinderstube vieler Fischarten. Und sie betrifft indirekt die Landwirtschaft, die zum Teil, etwa in Wilhelmsburg, ihre Felder aus Kanälen bewässert, die mit Elbwasser gespeist werden.

Seit zwei Jahren untersuchen die Professorin und ihre beiden Mitarbeiterinnen den Elbschlick. Zunächst machten sie monatliche Bestandsaufnahmen, um die allgemeine Belastung des Flussbetts zu ermitteln. Dann legten sie gezielt bei drei Hochwassern ihre Kunststoffmatten aus: im Juni 2010, August/September 2010 und Januar 2011. "Wenn wir hören, dass bei Wittenberg Hochwasser ist, werden wir aktiv", sagt Pei-Chi Hsu. "Es dauert etwa eine Woche, bis es Hamburg erreicht. Wir haben also genug Zeit, um an den verschiedenen Probenahme-Stellen unsere Matten zu installieren."

Zwar gebe es noch keine Ergebnisse, betont Projektleiterin Heise. Aber erste Anzeichen deuteten darauf hin, dass die Belastung durch organische (kohlenstoffhaltige) Schadstoffe nach Hochwassern ansteige. Zu dieser Schadstoffgruppe gehören unter anderem Abbauprodukte des längst verbotenen Insektengifts DDT, die krebsauslösenden Chlorverbindungen PCB, die Umweltgifte HCH, HCB und PAK. Weiterhin haben die Schadstofffahnder die Schwermetalle Quecksilber, Kadmium und Zink sowie Arsen im Visier.

"Alle Substanzen sind Altschadstoffe, denn unsere Untersuchungen konzentrieren sich auf die Mobilisierung von Altlasten in der Elbe und ihren Nebenflüssen", sagt Hsu. Die Forscherinnen suchen nicht direkt nach den Stoffen. Sie setzen Bakterien, Grünalgen und sporadisch auch Fadenwürmer einem wässrigen Extrakt des Schlicks aus und beobachten deren Aktivität.

"Bei den Leuchtbakterien haben wir in der Sedimentprobe nach dem Januar-Hochwasser eine deutlich reduzierte Aktivität festgestellt", sagt Susanne Heise - die Organismen verloren etwa 40 Prozent ihrer Leuchtkraft. Welche Substanzen dies verursachten, werden die noch ausstehenden chemischen Laborergebnisse zeigen. Fest steht: Leuchtbakterien reagieren besonders sensibel auf organische Schadstoffe.

Pei-Chi Hsu hofft jetzt auf ein neues Hochwasser. "Das wäre nach der aktuellen Trockenperiode besonders interessant." Die Situation vor einem solchen Hochwasser hat das Team mit der gestern geborgenen Matte zumindest schon einmal erfasst.