Dieser Krebs ist extrem wandlungsfähig. Aktuelle Forschungsansätze stehen im Mittelpunkt des Kongresses für Neurochirurgie in Hamburg.

Hamburg. Hirntumoren gehören zu den bedrohlichsten Krebserkrankungen. Pro Jahr erkranken 4000 bis 5000 Menschen in Deutschland an einem bösartigen Hirntumor. Die meisten sterben zwölf bis 15 Monate nach der Diagnose. "Zur Bekämpfung von Hirntumoren müssen völlig neue Wege gegangen werden. Trotz moderner Therapien und Operationsmethoden konnten wir die Überlebenszeiten bei den bösartigen Hirntumoren in den vergangenen 50 Jahren nicht wesentlich verlängern", sagt Prof. Manfred Westphal. Der Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Uniklinikum Eppendorf ist der Präsident der 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie, die am Sonnabend im CCH beginnt und zu der 1000 Teilnehmer erwartet werden.

Um neue Forschungen auf den Weg zu bringen, hat Westphal die Hirntumoren zu einem Schwerpunkt des Kongresses gewählt. Denn das Problem bei der medikamentösen Therapie ist, dass Wirkstoffe in Tabletten oder Infusionen oft keine Wirkung zeigen, weil sie die sogenannte Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können, eine natürliche Barriere zwischen dem Blutkreislauf und dem zentralen Nervensystem. Zudem sind Tumoren oft von Anfang an nicht empfindlich für die Medikamente oder finden schnell einen Abwehrmechanismus gegen die Tumortherapie.

Um Substanzen in das Gehirn zu bringen, die zu groß sind, um die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, gebe es erste Ansätze, aber es sei noch viel Forschung nötig, sagt Westphal. Beispiel Gewebeinfusion: "Dabei legt man einen Katheter direkt ins Gehirn, schließt daran eine kleine Pumpe und transportiert über mehrere Tage kleine Mengen von Substanzen in das Gehirn. Es gab bereits erste Studien, in denen man auf diesem Wege mit Giftstoffen beladene Moleküle in das Gehirn hineingebracht hat." Methoden, bei denen solche "selektiven Toxine" über einen Rezeptor andocken, der nur auf den Krebszellen sitzt und nicht auf gesunden Gehirnzellen, seien in der Entwicklung. "Mithilfe dieses Moleküls lässt sich die Substanz in die Krebszellen hineinbringen, wo sie dann die Zellen vernichtet."

Erschwerend kommt hinzu, dass die Hirntumoren im Gegensatz zu anderen Krebsarten über besondere Möglichkeiten verfügen, sich der Therapie zu entziehen. "Diese Krebszellen haben oft eine unangenehme Eigenschaft: Wenn man Moleküle auf ihrer Oberfläche, die für das Zellwachstum zuständig sind, blockiert, können die Zellen auf einen anderen Signalübertragungsweg umschalten, sodass die Therapie wirkungslos wird", erklärt Westphal. Oder sie finden einen anderen Weg, dem Medikament auszuweichen.

Als Beispiel nennt der Neurochirurg die Behandlung mit einem Antikörper, der die Neubildung von Blutgefäßen und damit die Nährstoffversorgung des Tumors verhindern soll. "Dieser Antikörper muss nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren und kommt sehr gut innerhalb der winzigen Blutgefäße, den Kapillaren, in den Tumoren an." Bei Patienten, denen man diesen Antikörper gibt, sehe man zunächst einen dramatischen Therapieeffekt. "Doch nach einigen Monaten sehen wir bei einer Gruppe von Patienten, dass dieser Tumor auf ein Wachstum umgeschaltet hat, das nahezu blutgefäßfrei ist, oder dass er an bereits existierenden Blutgefäßen entlang wächst. Hirntumoren sind extrem wandlungsfähig, und ihre Ausweichmechanismen machen sie ausgesprochen therapieresistent."

Ein weiterer Schwerpunkt des Kongresses ist die Behandlung von Tochtergeschwülsten, die sich bei bestimmten Krebserkrankungen in der Wirbelsäule bilden können. "Patienten leben heute länger mit Krebserkrankungen, und deswegen treten auch Komplikationen verstärkt auf. Dazu gehören Metastasen in der Wirbelsäule", sagt Westphal. Dafür gebe es mittlerweile viele Therapiemöglichkeiten, aber noch keine Leitlinien, in welchen Fällen welche Behandlung am sinnvollsten sei. "Auf dem Kongress wollen wir darüber diskutieren", betont Westphal. Wichtig ist ihm dabei, dass solche Therapieentscheidungen immer von einem Team aller beteiligten Spezialisten getroffen werden, also Strahlentherapeuten, Neurochirurgen und Onkologen.

Um Therapiekriterien geht es auch bei einem weiteren Schwerpunktthema, den Fehlbildungen von Blutgefäßen im Gehirn wie etwa Blutschwämmen oder Aussackungen von Hirnarterien, den Aneurysmen. "Wir können mit modernen bildgebenden Verfahren heute Gefäßfehlbildungen so gut darstellen, dass wir daraus Risikoparameter entwickeln können. Sie sollen die Grundlage bilden für Kriterien, nach denen wir entscheiden können, welchen Rat wir den Patienten für die Therapie geben."

Ein besonderer Programmpunkt ist "das Kind in der Neurochirurgie". Dabei geht es um die Kinderintensivmedizin und Kindrnarkosen, um Hirntumoren, Gefäß- und Wirbelsäulenerkrankungen. Im Mittelpunkt steht die Frage: In welchen Fällen bestimmt die Krankheit den Operateur und in welchen das Alter? Westphal nennt zwei Beispiele: Bei einem Hirntumor brauche das Kind einen Arzt, der in erster Linie ein guter Tumorchirurg ist. Ganz anders sei es bei Operationen in der Wirbelsäule, einem Organ, das sich noch in vollem Wachstum befinde. Dabei sei vor allem der Kinderorthopäde gefragt. Für beide braucht man wiederum eine leistungsfähige Kindermedizin.