Nach Berechnungen von US-Geologen könnte bis zu fünfmal mehr Rohöl aus dem Bohrloch ausgetreten sein als bislang angegeben

Bei der Ölpest im Golf von Mexiko ist nach Berechnungen der US-Regierung deutlich mehr Öl ins Meer geflossen als bislang vermutet. Bis zu 25 000 Barrel pro Tag (knapp vier Millionen Liter) seien seit dem Untergang der Förderplattform "Deepwater Horizon" ausgetreten, teilte die Leiterin einer Expertenkommission gestern mit. Das wäre fünfmal so viel wie bislang von BP geschätzt und die schlimmste Ölpest in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Sollten die Berechnungen der amerikanischen Geologen zutreffen, so würde die jetzige Ölpest im Golf von Mexiko die bislang schwerste Katastrophe noch in den Schatten stellen: Im März 1989 war der Tanker "Exxon Valdez" vor Alaska verunglückt. In der Folge flossen insgesamt etwa 41 Millionen Liter Rohöl ins Meer.

Im Golf von Mexiko entdeckten Wissenschaftler gestern einen neuen Ölschwaden mit gigantischen Ausmaßen, der unter der Wasseroberfläche treibt. Der Schwaden reiche von kurz unter der Wasseroberfläche bis in eine Tiefe von 1000 Metern und sei fast zehn Kilometer breit, sagte ein Wissenschaftler der Universität South Florida.

Mit dem Einsatz "Top Kill", der am Mittwochabend begann, verschafften jetzt mehrere Tausend Liter Schlamm, die pro Minute in das defekte Sicherheitsventil (Blowout Preventer) am Meeresboden gepumpt wurden, den Helfern zumindest eine Atempause. Doch der Austritt von Öl und Gas scheint noch nicht endgültig gestoppt. Eine BP-Sprecherin in London sagte gestern Abend, die auf etwa zwei Tage angelegte Aktion werde weitergeführt. Kann sie schlussendlich den Ölfluss komplett stoppen, soll die Quelle im nächsten Schritt mit Zement endgültig versiegelt werden.

Zu Beginn der Aktion Top Kill hatte BP die Erfolgsaussichten auf 60 bis 70 Prozent geschätzt - ein solches Verfahren sei noch nie zuvor in Wassertiefen von 1500 Metern zum Einsatz gekommen. Deshalb hat sich das Unternehmen für den Fall des Misslingens bereits eine weitere Rettungsaktion überlegt. Es würde dann das zerstörte Steigrohr direkt am Sicherheitsventil abtrennen und dem Leck einen 1,50 Meter hohen Zylinder aus Stahl überstülpen, der das Öl auffangen soll. Über ein Rohr an der Vorrichtung könnte die Brühe aus Rohöl und Meerwasser nach oben in ein Schiff gepumpt werden.

Ein ähnlicher Versuch mit einer 13 Meter hohen Stahlkuppe war vor drei Wochen gescheitert. Unter den unwirtlichen Bedingungen der Tiefsee (Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und Finsternis) hatten sich Gashydrate am oberen Teil der Kuppel gesammelt und die Leitung zum Abpumpen des Ölgemisches verstopft.

Der Einsatz gegen die Ölpest kostete BP nach offiziellen Angaben bislang 750 Millionen Dollar (615 Millionen Euro). Die US-Regierung hat bisher 100 Millionen Dollar (82 Millionen Euro) ausgeben müssen, die sie allerdings von dem Ölkonzern zurückerhält.

Nach Angaben von Konteradmiral Mary Landry von der US-Küstenwache sind mittlerweile 160 Kilometer Küste verdreckt - betroffen seien Strände und Marschland. Letzteres ist ökologisch besonders wertvoll, als Lebensraum für Shrimps und anderes Meeresgetier sowie als Kinderstube vieler Fischarten. Bei einigen Verschmutzungen handele es sich um schweres Öl, so Landry, bei anderen lediglich um einen Film.

Als Konsequenz aus der Umweltkatastrophe drosselt Präsident Barack Obama die Entwicklung von Ölfeldern. Er will in den kommenden sechs Monaten vorerst keine neuen Tiefsee-Bohrungen zulassen.