Zwei Ärztinnen üben mit Medizinstudenten Gespräche mit Patienten, Laienschauspieler simulieren schwere Krankheiten

"Hallo, Daniel, wie geht's?", fragt Medizinstudentin Marie Brünner, 22, den 16-Jährigen, der ihr als "Patient" gegenübersitzt. Seine Mutter begleitet ihn. Daniel antwortet nicht, sondern guckt in die Ferne. Die Mutter springt ein: "Daniel ist sehr zurückhaltend, vielleicht können wir uns zuerst unterhalten." Die Studentin ist einverstanden. Es entwickelt sich ein klassisches Anamnesegespräch, in dem sich die angehende Medizinerin nach der Vorgeschichte und der Entwicklung von Daniels Problem erkundigt. Nach acht Minuten klingelt der Wecker, das Gespräch endet abrupt.

Es ist Bestandteil eines interdisziplinären Kommunikationstrainings im Themenblock "Psychosoziale Medizin", den an diesem Tag 75 Medizinstudenten im "Medi-Treff" des Universtitätsklinikums Eppendorf (UKE) absolvieren. In Kleingruppen werden die Studenten mit verschiedenen Krankheitsbildern konfrontiert. Reihum ist jeder mal der Arzt, der eine Diagnose stellen muss - so wie eben Marie Brünner. Nach dem praktischen Teil folgt eine Beurteilung der "Jury" aus den übrigen Studenten der Gruppe und einem Dozenten, der die Anamnese für die Nachbereitung mit einer Kamera filmt.

57 Schauspieler werden regelmäßig eingesetzt

In dem Seminar heute geht es um Aufklärungsgespräche bei Patienten mit psychischen Problemen und psychiatrischen Erkrankungen. Alle Fälle entsprechen realen Krankheitsbildern und werden von Simulationspatienten gespielt. Hinter Daniel verbirgt sich Schauspielschüler Marc Laade, 22, der den Auftrag hat, einen schizophrenen Jugendlichen darzustellen; hinter Daniels Mutter steckt Laiendarstellerin Iris Kastens, 44. Im Nebenraum spielt Peter Rusack, 73, einen Patienten, der an einer Zwangserkrankung leidet.

Alle drei Simulationspatienten haben schon häufig an den Kommunikationsseminaren des UKE teilgenommen. Sie können die unterschiedlichsten Beschwerdebilder und Patientencharaktere darstellen und den Studierenden im Anschluss an den Arzt-Patienten-Kontakt ein strukturiertes Feedback geben. 57 Laienschauspieler im Alter zwischen 19 und 83 Jahren sind regelmäßig beim UKE aktiv, spielen knapp 40 verschiedene Rollen. In einem mehrstündigen Training werden sie von Ärztinnen und einem Schauspiellehrer auf ihre Patientenrolle vorbereitet; dabei werden die Rollenskripte in enger Zusammenarbeit mit den Vertretern der einzelnen Fächer entwickelt. Nach der Schulung treten die Pseudo-Patienten zunächst unter Aufsicht, später zunehmend selbstständig im Unterricht auf. Im Jahr 2009 waren sie bei 188 Lehrveranstaltungen und 975 Prüfungen im Einsatz.

Die Pseudo-Patienten machen ihren Job, der mit dem Stundenlohn einer studentischen Hilfskraft (8,02 Euro) vergütet wird, ausgesprochen gern. "Sich mit Krankheitsbildern auseinanderzusetzen ist eine spannende Erfahrung", sagt Marc Laade. Iris Kastens macht es "einfach Spaß", Patientin zu spielen. Und Peter Rusack, Laienschauspieler an der Hennebergbühne, schätzt es, dass er trotz Regieanweisungen improvisieren kann.

"Simulationspatienten wirken auf Studierende und Dozenten sehr authentisch und realitätsnah und stellen daher eine sehr effiziente Lehrmethode dar", sagt Dr. Cadja Bachmann, 45, Leiterin des Programms am Institut für Allgemeinmedizin, das für die Medizinische Fakultät am UKE Schulungen, Einsätze und Supervisionen koordiniert. Sie hat das Kommunikationstraining 2005 mit zunächst fünf Laiendarstellern angefangen und es seitdem kontinuierlich ausgebaut. Mittlerweile betreut die Allgemeinmedizinerin das Projekt gemeinsam mit ihrer Kollegin Silke Roschlaub, die als Psychiaterin und Psychotherapeutin Erfahrung aus diesen Bereichen mit einbringt.

Ärzte verbringen 60 bis 80 Prozent der Zeit mit Patientengesprächen

Jedes Kommunikationsseminar ist sehr personalintensiv und für die Ärztinnen eine logistische Herausforderung. Allein heute sind an den fünf Stationen 15 Dozenten, 15 Simulationspatienten und ein Schauspieltrainer im Einsatz, zusätzlich sorgen zahlreiche Mitarbeiter im Hintergrund für einen reibungslosen Ablauf. Doch die Mühe lohnt sich. "Mehr als 90 Prozent der Studierenden geben an, die Einsätze von Simulationspatienten steigerten die Qualität der Lehre", so Bachmann.

Auch die Dozenten schätzen das Unterrichtskonzept. Sein Erfolg liegt in der praktischen Relevanz: Ärzte verbringen 60 bis 80 Prozent ihrer Arbeitszeit im Gespräch mit Patienten. Kommunikationsmissverständnisse sind häufig Anlass für Patienten-Beschwerden, und viele Patienten wünschen sich, dass das Gespräch stärker in den Vordergrund der ärztlichen Behandlung rückt. Bachmann: "Neben dem medizinischen Fachwissen müssen wir den angehenden Ärztinnen und Ärzten auch Fertigkeiten vermitteln, dieses Wissen patientengerecht mitzuteilen, ein gutes Arzt-Patientenverhältnis aufzubauen."

Die Diagnose Krebs einfühlsam mitteilen

Medizinstudenten am UKE absolvieren während ihres sechs Jahre dauernden Studiums verschiedene Kommunikationsseminare. Am Anfang geht es um allgemeine Aspekte der ärztlichen Gesprächsführung, später werden die Fertigkeiten in speziellen Situationen und verschiedenen Fächern wie der Allgemeinmedizin, Inneren Medizin, Chirurgie oder Gynäkologie vertieft. Die Studenten lernen anhand von Simulationspatienten auch, eine schwerwiegende Diagnose, etwa eine Krebserkrankung oder eine unheilbare Erkrankung, einfühlsam mitzuteilen.

Wie sie sich im Patientengespräch verhalten haben, erfahren die Studenten am Ende des Arzt-Patienten-Kontakts in einem Feedback. Die Beurteilung erfolgt nach der "Sandwich-Methode": zunächst das Positive erwähnen, dann konstruktive Kritik üben, zum Abschluss eine Gesamtbeurteilung. "Beim Kommunikationstraining lernt man immer wieder etwas dazu", sagt Marie Brünner, nachdem ihre Kommilitonen und die Dozentin ihr Anamnesegespräch mit Daniel und seiner Mutter diskutiert haben. Von anderen beurteilt und sogar gefilmt zu werden verursacht ihr schon lange kein Lampenfieber mehr - eine gute Voraussetzung dafür, dass sie später als Ärztin auch schwierige Gesprächssituationen hervorragend meistern wird.