Berlin. Handyhersteller erlauben Nutzern mehr Kontrolle über die Zeit, die sie am Smartphone verbringen. Das ist überfällig – und sehr gesund.

„Jetzt leg doch mal das Handy weg“ – dieser Satz wird vermutlich jeden Tag millionenfach in Deutschland ausgesprochen. Gedanken machen sich deshalb die wenigsten.

Natürlich schaut man oft auf das kleine Display, aber irgendwas gibt es da ja immer: Abends auf der Couch eine Dienst-Mail lesen, beim Bier mit Freunden eine Whats­App verschicken – oder beim Spielen mit dem Kind linsen, ob einem Freund bei Facebook das Urlaubsfoto gefällt. Ja, das ist nicht optimal. Aber Hand aufs Herz, geht das nicht vielen so? Muss man daraus gleich ein Problem machen? Soll das schon Handysucht sein? Blödsinn.

Welchen Stellenwert das Smartphone im Leben hat, fällt erst auf, wenn es fehlt. Wer erst geschworen hat, dass ihm dieser technische Schnickschnack eigentlich nichts bedeutet, ist dann doch völlig aufgelöst, wenn das Telefon im Taxi vergessen oder im Pool versenkt wurde.

Ja, das Smartphone ist allgegenwärtig: Aber ist das wirklich schlimm? Schließlich ist es mobile Schreibmaschine, Dokumentensafe, digitaler Bankschalter, Brief- und Nachrichtenarchiv und Familienfotoalbum in einem.

Programme helfen, das Smartphone auch mal wegzulegen

Dass diese digitalen Allzweckwerkzeuge aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sind, stellt niemand infrage. Doch das Smartphone ist noch jung – zehn Jahre. Offenbar müssen wir noch lernen, richtig damit umzugehen.

Apple und Google sehen das wohl auch so. Ab Herbst stecken in den iOS- und Android-Betriebssystemen Funktionen, mit denen Nutzer nicht nur sehen können, wie viel Zeit sie mit den Geräten täglich verbringen.

Sie helfen sogar dabei, das Smartphone öfter einmal wegzulegen. Google nennt diese Funktion „Digital Wellbeing“ – übersetzt etwa „digitales Wohlbefinden“. Das macht nachdenklich – ging es den Menschen vorher so schlecht? Und wieso will ausgerechnet die Smartphoneindustrie ihre Kunden von den Produkten entwöhnen?

Soziale Netzwerke sprechen das Belohnungssystem im Gehirn an

Pure Menschenfreundlichkeit steckt vermutlich nicht dahinter. Dass die Weltgesundheitsorganisation WHO vor einigen Wochen nach langer Debatte Videospielsucht offiziell als Krankheit anerkannt hat, schon eher. Bei Videospielsüchtigen, das haben Untersuchungen gezeigt, laufen ganz ähnliche Prozesse im Hirn ab wie bei Alkoholkranken oder starken Rauchern.

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    Immer wenn Spieler ein neues Level erreichen oder einen Gegner besiegen, wird das Belohnungszentrum aktiviert. Das klappt viel einfacher und schneller als im normalen Leben. Eine ganz ähnliche Wirkung wird von Forschern übrigens auch für soziale Netzwerke angenommen. Jeder Follower bei Instagram, jedes Like bei Facebook stimuliert ebenfalls das Belohnungszentrum – ein Gefühl, das jeder Facebooknutzer nur zu gut kennt.

    Nutzer sollten neue Werkzeuge nutzen

    An diesen Mechanismen tragen Smartphones zwar keine Schuld – sie sind aber die immer und überall verfügbare Plattform, die es erst erlaubt, auch zu den unpassendsten Zeiten zu schauen, wer unsere Twitternachricht gerade weiter verbreitet hat. Und die Vorstellung, dass Gesundheitspolitiker auf die Idee kommen könnten, schwarze Warnhinweise auf Handyverpackungen drucken zu lassen oder Jugendlichen die Nutzung ganz zu verbieten, könnte den Technik-Managern den Angstschweiß auf die Stirn treiben.

    Mit Handyverboten dürfte allerdings nicht zu rechnen sein. Dafür liegt es jetzt bei den Nutzern, mit den neuen Werkzeugen zu prüfen, wie viel Zeit sie tatsächlich an digitalen Geräten verbringen. Sie sollten es als Chance begreifen, wenn das Smartphone künftig sagt „Leg doch mal dein Handy weg“.