Berlin. Digitale Nachlässe dürfen laut BGH-Urteil nicht anders als welche auf Papier behandelt werden. Das ändert auch zukünftige Testamente.

Als Thomas Mann am 12. August 1955 starb, hinterließ er außer seinem umfangreichen Werk auch jede Menge unveröffentlichter Manuskripte. Manche von ihnen blieben der Wissenschaft und der interessierten Öffentlichkeit zunächst weiterhin verschlossen. Der Literaturnobelpreisträger hatte testamentarisch verfügt, seine Tagebücher erst 20 Jahre nach seinem Tod zu veröffentlichen.

Dafür gab es einen guten Grund: Der Schriftsteller war schwul, was zu seinen Lebzeiten nur wenige wussten. Dass er nicht heterosexuell war, ging auch aus Manns Tagebüchern hervor. Und da Homosexualität damals als Makel galt, versuchte der Autor der „Buddenbrooks“, seinen Ruf, vor allem aber seine Witwe Katia, die ihn um nahezu 25 Jahre überlebte, so gut es ging zu schützen.

Heute ist Homosexualität etwas ganz Normales. Und im digitalen Zeitalter dürfte die Zahl der Menschen, die Tagebuch führen, weitaus niedriger sein als noch zu Lebzeiten Manns. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit seit diesem Donnerstag gewachsen, dass nach unserem Tod irgendein intimes Geheimnis an die Öffentlichkeit gelangen könnte, das wir am liebsten mit ins Grab genommen hätten.

BGH hat über Facebook-Nachlass geurteilt

Das liegt an einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH). Die Karlsruher Richter haben entschieden, dass Accounts bei sozialen Medien wie Facebook oder Twitter vererbt werden können. Im konkreten Fall ging es darum, dass die Eltern eines 2012 gestorbenen Mädchens Zugang zu dessen Nutzerkonto bei Facebook haben wollten. Die 15-Jährige war in einem Berliner U-Bahnhof von einem Zug erfasst worden. Ihre Eltern hofften, aus dem Account der Tochter könne hervorgehen, ob es sich bei ihrem Tod um einen Selbstmord handelte. Das soziale Netzwerk hatte ihnen aber unter Berufung auf den Datenschutz den Zugang zu dem Nutzerkonto verwehrt und in den Vorinstanzen recht bekommen.

So löscht man sein Facebook-Konto in 5 Schritten

weitere Videos

    Der BGH entschied nun aber letztinstanzlich im Sinne der Eltern. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass auch Tagebücher und Briefe vererbt werden könnten. Es gebe keinen Grund, warum dies nicht auch für digitale Inhalte gelten solle.

    Tatsächlich spricht nichts dafür, in einem solchen Fall Aufzeichnungen in analogen anders als Notizen in digitalen Medien zu behandeln. Allerdings ergeben sich aus dem Urteil Konsequenzen, die weit über den konkreten Fall hinausgehen. Denn während Briefe und Tagebücher aus der Mode kommen, vertrauen wir digitalen Medien im Allgemeinen und sozialen Netzwerken im Besonderen immer intimere Dinge an.

    Testament für Daten wird wichtiger

    Nehmen wir beispielsweise einen Mann, der seine Frau ein paar Wochen lang betrügt. Via Facebook chattet er mit seiner Liebhaberin. Viele Jahre später, die Affäre ist längst vergessen, stirbt der Mann. Seine Frau erbt sein Facebook-Nutzerkonto – und entdeckt die Chat-Protokolle von einst. Die unbedeutende Liaison bekommt so für sie eine Bedeutung, die sie womöglich nie hatte. Im Sinne des Mannes wäre es mit Sicherheit nicht gewesen, dass seine Frau auf diese Weise von seinem Seitensprung erfährt.

    Wer solch unliebsame Überraschungen vermeiden will, tut gut daran, seinen digitalen Nachlass zu Lebzeiten so zu regeln, wie Thomas Mann es einst mit seinem analogen Nachlass tat. Das hat im Übrigen nichts mit Misstrauen gegenüber den engsten Verwandten zu tun. Es gibt ein Recht auf Privatheit. Jeder Mensch hat in seinem Leben schon mal Dinge gesagt, getan oder geschrieben, von denen er nicht möchte, dass andere davon erfahren. Auch nicht sein Ehepartner, seine Kinder, Geschwister oder Eltern.