Berlin. Bewertungen sind wichtiger Bestandteil des Onlinehandels. Wie vertrauenswürdig sind die Urteile über Produkte und Dienstleistungen?

Daumen hoch für die schnelle Lieferzeit, drei Sternchen für die unkomplizierte Verkaufsverhandlung, ein Smiley für die freundliche Beratung, ein Lob für die Leistung des Handwerkers: Um das beste Angebot zu finden, werden Online-Urteile für Dienstleistungen und Waren immer wichtiger. Bewertungsportale wie Yelp oder „KennstDuEinen“ sind für viele Verbraucher die erste Anlaufstelle, noch bevor sie auf den Seiten der Hersteller oder Händler stöbern. Was sie überzeugt, sind die Empfehlungen früherer Kunden.

Der Kummerkasten im Netz hat großen Einfluss auf das Kaufverhalten der Kundschaft. Gefürchtet sind vor allem die negativen Urteile und der Frust der Verbraucher. Laut einer Allensbach-Umfrage hat mindestens jeder Zweite ein Produkt nicht gekauft oder eine Dienstleistung nicht in Anspruch genommen, weil es negative Kommentare gab. Das heißt: Bekommt der Hotelier nur einen von fünf möglichen Sternen, kann er wohl kaum mit mehr Buchungen rechnen.

Mehr Bewertungen steigern die Bekanntheit

Jeder Vierte orientiert sich laut Umfrage an den Online-Bewertungen anderer Nutzer auf der Suche nach bestimmten Produkten. „Bewertungen sind ein wesentlicher Bestandteil des Onlinehandels – sowohl die Bewertung der Produkte als auch der Händler“, sagt Oliver Prothmann, Präsident des Bundesverbands Onlinehandel. Vor allem Plattformen wie Ebay, Amazon oder auch Trip­advisor schmücken sich mit Kundenbewertungen.

Für Händler und Hersteller sind sie das ideale Marketinginstrument. Hat ein Produkt viele Kommentare bekommen, steigt auch der Bekanntheitsgrad und damit die Zahl der künftigen Kunden. Mehr Urteile platzieren das Unternehmen zudem im Google-Ranking weit oben bei den Suchergebnissen.

Tester im Unternehmensauftrag

Die Bewertung gehört für viele Kunden beim Shopping im Netz dazu. Laut einer Studie des Hotelbewertungsportals Holiday Check haben 82 Prozent der Befragten schon einmal eine Bewertung für ein Produkt oder eine Dienstleistung geschrieben. Vor zwei Jahren waren es noch 74 Prozent. Knapp die Hälfte der Befragten ist bereits selbst bewertet worden: Als Verkäufer auf Ebay, als Übernachtungsgast bei Airbnb oder als Anbieter einer Mitfahrgelegenheit.

Die Rezensenten sind Kunden, die freiwillig nach einem Kauf ihr Urteil abgeben. Hinzu kommen Tester im Auftrag von Unternehmen. Experten zufolge sind die Online-Bewertungen zu einem ganz eigenen Geschäftsmodell geworden. Dazu gehören etwa Blogger, die sich zu ausgewählten Themen zu Wort melden. Babynahrung, Windeln oder Kinderkleidung werden über Familien- und Erziehungsblogs getestet. Laptops, Haushalts- oder Elektrogeräte über Techblogs. „Sie zeigen das Produkt in einem anderen Licht“, sagt Prothmann. „Allerdings sollten diese Bewertungen auch entsprechend gekennzeichnet sein.“ Nur so weiß der Kunde auch, dass es sich bei diesem Urteil um einen ganz gezielten Test handelt.

Produkte als Lohn für Bewertungen

Der Online-Versandhändler Amazon hat das Spiel mit den Bewertungen perfektioniert – beispielsweise über den Vine-Club. Nur ausgewählte Mitglieder werden von Amazon in diesen Kreis berufen, bewerben kann man sich dafür nicht. Wer drin ist, kann sich glücklich schätzen. Jeden Monat stellen die Händler zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Waren bereit.

Die Clubmitglieder können diese dann bestellen und bekommen sie kostenlos. Im Gegenzug sollen sie eine Bewertung abliefern. Verbraucherschützer beobachten allerdings, dass die Produkte, die die Vine-Mitglieder bewerten, meist gute Noten bekommen. Schließlich wollen die Rezensenten auch im Club bleiben, so lautet die Vermutung.

Experte: Fakten wichtiger als Meinung des Rezensenten

Die Bewertung der Club-Mitglieder ist unter den Produkten markiert. Georg Tryba von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen spricht dennoch von einer Scheintransparenz, die den Kunden keine wirklichen Anhaltspunkte bringt. Um zu einer Kaufentscheidung zu kommen, stehen für ihn ganz andere Aspekte im Vordergrund. Brauche ich diesen Fernseher wirklich? Kann ich mir das Notebook überhaupt leisten? Entspricht die Versicherung mit den meisten Sternen meinen Anforderungen?

„Als Verbraucher sollte man solchen Online-Bewertungen auf keinen Fall trauen. Die Urteile werden viel zu hoch gehypt“, sagt Tryba. Denn: „Wer hinter dem Urteil steckt ist in vielen Fällen gar nicht klar.“ Ein Beispiel: Ein Kunde hat eine Digitalkamera bei einem Versandhändler für Elektronik bestellt. Es ist seine erste Kamera dieser Art und eigentlich kennt er sich nicht mit solchen Geräten aus. Doch weil ihm die Handhabung so leicht fällt, lobt er das Produkt über alle Maßen auf der Plattform.

Gefärbte Urteile aus Unwissenheit

Sein Urteil ist also alles andere als eine Expertenmeinung – und damit auch seine Entscheidung dem Produkt fünf Sterne zu geben. „In den meisten Fällen fehlt den Bewertern die Kompetenz. Sie äußern lediglich ein Gefühl“, sagt Tryba. Was sie bewerten ist vollkommen subjektiv. Gefällt dem Rezensenten die schnelle Lieferzeit, vergibt er ein Sternchen an das Produkt, obwohl diese Einschätzung mit dem Gerät nichts zu tun hat.

Gekaufte Bewertungen oder gefärbte Einschätzungen aus Unwissenheit – wie vertrauenswürdig die Online-Kommentare sind, ist für Kunden nicht ersichtlich. Dem Verbraucher bleibt auf der Angebotssuche nur der Vergleich. Dazu gehören die Urteile im Netz und die Ergebnisse von unabhängigen Organisationen wie der Stiftung Warentest.