Essen. Andreas Böhme hat Sonys neue Hightech-Brille eine Woche lang in seinem Wohnzimmer ausprobiert – und bekommt plötzlich sehr oft Besuch.

Sven wollte ja schon lange mal wieder vorbeikommen. Aber wie das so ist. „War immer was los“, sagt er entschuldigend, als er jetzt im Türrahmen steht – und kommt dann gleich zur Sache. „Ich habe gehört, du hast eine neue Virtual-Reality-Brille. Darf ich die mal ausprobieren?“

Sven ist kein Einzelfall. Im Gegenteil. Jeden Abend ist die Bude voll bei uns. Wie die Hühner auf der Stange sitzen die Freunde meiner beiden Kinder auf dem Sofa. So ähnlich muss das gewesen sein, als die ersten Fernsehgeräte in die deutschen Haushalte kamen. Mit dem Unterschied, dass Röhrenfernseher in den 50er-Jahren käuflich zu erwerben waren, wenn man denn das Geld dafür hatte. Die Playstation VR, wie das Spielgerät offiziell heißt, ist es derzeit nicht, überall heißt es: „ausverkauft“.

Sehr begehrt und überall ausverkauft

Das liegt zum einen wohl daran, dass Sony zum Start Mitte des Monats nur eine fünfstellige Zahl von Brillen auf den Markt geworfen hat. Aber auch daran, dass Virtual Reality einen alten Spielertraum erfüllt: Mittendrin statt nur dabei zu sein. Letzte Woche ist sie gekommen. Kurzfristige Leihgabe steht auf dem beigelegten Zettel, da gilt es keine Zeit zu verlieren. Gut zehn Minuten benötigt mein Sohn, um alles anzuschließen – inklusive der Prozessoreinheit, die der PS4 noch einmal Beine macht, und der extra zu erwerbenden Kamera. „War ganz einfach“, sagt er anschließend.

Aber er fand es auch ganz einfach alle Fernseher in unserem Haus zu vernetzen, ist also kein Maßstab. Weil Sony aber eine ausführliche und bebilderte Anleitung beigelegt hat und die Kabel sogar durchnummeriert sind, schaffen es auch Menschen jenseits der 40 schließlich alles zu verbinden, die Kamera zu justieren und die VR-Brille zu kalibrieren.

Zu hell darf es nicht sein

Dann sollte man die Rollos schließen, denn zu hell darf es nicht sein, sonst kann die Kamera die Lämpchen an ihr oder den oft benötigten sogenannten Move Controllern nicht erkennen und den Spieler nicht erfassen.

Blau leuchten diese Lämpchen dann, und der Träger der Brille sieht ein wenig aus wie ein Taucher auf der Weihnachtsfeier. Und obwohl man sich eigentlich gar nicht bewegen muss, bewegt man sich bald durch den Raum, wie ein Außerirdischer unter Alkoholeinfluss.

„Wir räumen besser mal das Zimmer leer“, sagt mein Sohn deshalb auch nach ersten Ausflügen in die virtuellen Welten. Weil man zwar weiß, dass sich Glastisch und Stehlampe in der Nähe befinden, man es aber schnell vergessen hat unter dem Einfluss der neuen Technik – und dann die Bruchsicherheit der Einrichtung auf die Probe stellt.

Eine VR-Brille füllt das gesamte Sichtfeld aus

So eine VR-Brille, leicht überzustreifen auch für Brillenträger und zumindest eine Zeit lang recht bequem zu tragen, füllt nämlich das gesamte Sichtfeld aus. Oben, unten, rechts, links, vorne oder hinten – wohin man auch schaut, man sieht ausschließlich die virtuelle Welt. Bis sich, wenn die Software gut geschrieben ist, die „Presence“ einstellt, das Gehirn also tatsächlich davon überzeugt ist, woanders zu sein. Was erklärt, warum Sven beinahe gegen den Fernseher läuft, weil er sich in einem langen Tunnel wähnt.

Dass Sonys-Brille nicht die höchste Auflösung besitzt, die Bilder manchmal unscharf und pixelig wirken, ist dem Gehirn offenbar egal. „Immersion“ heißt das im Fachjargon. „Voll krass“, nennt es mein Sohn. Selbst Sven, der am Computer ganze Weltreiche im Handstreich erobert hat und längst nicht mehr zählen kann, wie vielen Aliens und Zombies er den Garaus gemacht hat, ist nach anfänglicher Skepsis beeindruckt. „Spooky irgendwie“, findet er seinen Ausflug als Batman in die Unterwelt von Gotham City.

Junge Mädchen im Teenageralter werden dann manchmal auch nervös und brechen das Spiel ab. „Oh my God!“, rufen sie und reißen sich die Brille vom Kopf. „War zu heftig“, entschuldigen sie sich. Eine Reaktion, die bei gleichaltrigen Jungen meist zu einem mitleidigen Lächeln führt. „Das ist doch noch gar nichts.“

Über 180 Spiele für das neue System

Über 180 Spiele soll es in den kommenden Monaten für das neue System geben. Dann kann man Auto fahren, mit Panzern kämpfen, fremde Planeten erkunden oder zum Meeresgrund tauchen. Und bald kann man auch auf dem Kommandosessel von Raumschiff Enterprise Platz nehmen und in Galaxien vordringen, die noch kein Spieler zuvor gesehen hat.

Das alles ist sehr beeindruckend, lässt einen erahnen, was – wahrscheinlich schon im nächsten Jahr – alles möglich ist mit so einer Brille. Vom Umfang her aber fällt es bisher eher in die Kategorie Demo oder Gelegenheitsspiel. Selbst das atmosphärisch unglaublich starke Spiel „Batman: Arkham VR“ hat ein erfahrener Spieler in gut zwei Stunden durchgespielt.

„Aber spätestens dann“, sagt mein Sohn, „bekomme ich auch Kopfschmerzen.“ Sony empfiehlt sogar, nur maximal eine Stunde am Stück zu spielen. Kinder und Jugendliche unter 12 Jahren sollten die VR-Brille überhaupt nicht aufsetzen.

Toll, aber auch ganz schön teuer

Nach gut einer Woche ziehen wir Bilanz, Sonys Brille macht vieles besser als die Alternativen: Nur rund halb so teuer wie die Konkurrenz, die „Oculus Rift“ oder „HTC Vive“ heißt und zwar eine bessere Auflösung, aber weniger Tragekomfort bietet. Von der Softwareauswahl ganz zu schweigen. Günstig ist die virtuelle Welt trotzdem nicht: Eine Playstation 4 vorausgesetzt, summieren sich Brille, Kamera und Move Controller auf stolze 540 Euro. „Zu viel“, finden sowohl mein Sohn als auch Sven. Jedenfalls solange es noch keine richtigen Spiele gibt.