Salzgitter. Das iPhone eines 15-Jährigen hat sich überhitzt und durch seine Hosentasche gebrannt. Apple einen Fehler nachzuweisen, ist schwierig.

Als Muhammed Avci am Morgen des 22. September zur Schule geht, ahnt er noch nichts Böses. Er ist Schüler der Hauptschule an der Klunkau in Salzgitter Lebenstedt. Wie immer schaltet er sein iPhone 5c vor dem Unterricht aus. Als er in der Pause bei seinen Freunden steht, merkt er, wie das Smartphone in der Hosentasche immer heißer und heißer wird. Er schmeißt das heiße und zischende Gerät auf den Boden. Es qualmt.

„Ich hatte sehr starke Schmerzen am Oberschenkel und bin erstmal zu den Toiletten gelaufen, um die Wunde mit Wasser zu kühlen“, sagt der 15-jährige Schüler im Gespräch eine Woche nach dem Vorfall. Das iPhone lag währenddessen qualmend auf dem Boden. Als er wieder in den Klassenraum kommt, ist das Telefon verkohlt und der Bildschirm aufgesprungen. In der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses wird eine Verbrennung ersten Grades am Oberschenkel festgestellt.

Wie kommt es zu solchen Unfällen?

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Smartphones werden, so wie fast jedes elektronische Gerät, mit Lithium-Ionen Akkus betrieben. Egal ob Smartphone, Tablet, Elektrofahrrad oder Elektroauto und egal welcher Hersteller, sie werden von Lithium-Ionen Akkus mit Strom versorgt. Diese können viel Energie auf kleinem Raum speichern, sie sind aber auch nicht ganz ungefährlich.

„Die Batteriezellen in den Akkus bestehen aus Elektroden“, erklärt Linus Froböse. Er ist Mitarbeiter der Battery Lab Factory der Technischen Universität Braunschweig. Dort werden Batterien für Elektroautos erforscht. Sobald in einer Zelle dieser Akkus Plus-und Minuspol direkt miteinander verbunden werden, entstehe ein Kurzschluss, sagt Froböse. Dann könne es zu Unfällen kommen, wie bei Muhammed Avci.

Viele Gründe für einen Kurzschluss

So ein Kurzschluss kann mehrere Ursachen haben. Damit sich die beiden Pole im Akku nicht berühren, werden sie im Normalfall durch den sogenannten Separator getrennt. „Das ist eine Flüssigkeit, die durchlässig für Ionen ist, Kontakt zwischen den Elektroden aber verhindert“, erklärt der Forscher. Lediglich die Ionen wandern beim Laden oder Entladen des Akkus hin und her.

Schäden an einem Separator und damit ein Kurzschluss können durch Produktionsfehler, aber auch durch Druck oder Hitze entstehen. Gerade hohe Temperaturen machten den Separatoren zu schaffen, sagt Froböse. Das Problem: Bei Schäden am Akku komme so schnell ein Teufelskreis in Gang, erklärt er.

Hitzeentwicklung durch Kurzschluss

Ein Kurzschluss erzeugt Hitze, dadurch kann es in anderen Batteriezellen des Akkus auch zu weiteren Kurzschlüssen kommen, was noch mehr Hitzeentwicklung nach sich zieht. „Der kritische Punkt, bei dem so eine Kettenreaktion ausgelöst wird, liegt bei ungefähr 170 Grad Celsius“, sagt Froböse.

Das Handy explodiere dann aber nicht wirklich, sondern der Akku blähe sich sehr stark auf, sagt er. Man könne eher von einem Hochgehen des Akkus sprechen.

Selten gehen Akkus von selbst hoch

Das Internet ist voll von Videos, die zeigen, wie diese Kettenreaktion künstlich erzeugt wird. Mit einem alten Laptop auf der Herdplatte oder einem Messerstich in einen Handyakku werden dort solche Reaktionen hervorgerufen. Froböse schätzt allerdings, dass weit unter einem Prozent der Akkus von allein hochgehen.

Zuletzt hat Samsung mit solchen Problemen für Schlagzeilen gesorgt. Im Galaxy Note 7 wird das Problem offenbar durch einen Produktionsfehler erzeugt, der Hersteller hat bereits eine Rückrufaktion gestartet. Laut einer Pressemitteilung von Samsung seien bis zum 2. September 35 dieser Smartphones hochgegangen.

Samsung-Geräte sorgen für Probleme

Seit dem die Problematik bekannt wurde, müssen die Geräte des betroffenen Fabrikats in Flugzeugen ausgeschaltet bleiben. Seit April dürfen im Gepäckraum von Flugzeugen überhaupt keine Lithium-Ionen-Akkus mehr mitgeführt werden, da es dort zu mehreren Zwischenfällen kam.

Abgesehen von Produktionsfehlern, wie im Galaxy Note 7, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Lithium-Ionen-Akku hochgeht, äußerst gering. „In der Batteriewelt wird viel Panik gemacht“, sagt Experte Froböse.

So minimieren Smartphone-Besitzer das Risiko

Der iPhone-Akku erhitzte sich so sehr, dass sich die weiße Plastik-Rückwand vom Gerät löste.
Der iPhone-Akku erhitzte sich so sehr, dass sich die weiße Plastik-Rückwand vom Gerät löste. © Privat | Privat

Trotzdem kann der Forscher ein paar Tipps geben, mit denen sich das Risiko minimieren lässt: „Wer bei seinem Smartphone den Akku wechselt, sollte darauf achten, dass der neue Akku ein Original vom Hersteller ist.“ Alte Akkus seien dabei nicht unbedingt gefährlicher als neue. Außerdem sollte man das originale Ladegerät benutzen, damit das Gerät nicht überladen werden kann.

Der Forscher rät, im Alltag darauf zu achten, dass das Handy nicht in der Sonne liegt und schon gar nicht in der Sonne lädt. Zudem sollten mechanische Einwirkungen auf den Akku vermieden werden. Das bedeutet, das Telefon sollte keinem übermäßigen Druck ausgesetzt, geworfen oder geschleudert werden. „Man sollte sein Handy zum Beispiel auch nicht in einer der hinteren Hosentaschen tragen, so dass man sich immer draufsetzt“, rät Froböse.

Absolute Sicherheit bieten diese Tipps allerdings nicht: Das iPhone von Muhammed Avci ist in einer der vorderen Hosentaschen hochgegangen, sagt der 15-Jährige.

Diese Rechte haben Verbraucher

Tritt der Schaden innerhalb von zwei Jahren nach dem Kauf des Gerätes auf, kann der Kunde von der Gewährleistung Gebrauch machen. „Dabei ist immer der Verkäufer der erste Ansprechpartner“, sagt Josina Starke von der Verbraucherzentrale Niedersachsen.

Sie erklärt, dass der Kunde das Wahlrecht zwischen einer Reparatur und einem Ersatzgerät habe, solange die Entscheidung verhältnismäßig ist. „Der Kunde kann dem Verkäufer eine Frist setzen, innerhalb der er das reparierte Gerät oder das Ersatzgerät haben möchte“, sagt Starke.

Kunde kann vom Kaufvertrag zurücktreten

Sie empfiehlt eine Frist von 10 bis 14 Tagen. Wenn in der Zeit kein Ersatz- oder repariertes Gerät da ist, kann der Kunde vom Kaufvertrag zurücktreten und bekommt sein Geld wieder. Wer über die Gewährleistung hinaus eine Garantie abgeschlossen hat, kann im Schadensfall von dieser Gebrauch machen.

Die Telekom, bei der Muhammed Avci sein Gerät seinerzeit kaufte, teilt auf Anfrage dazu mit: „Im Gewährleistungsfall sorgen wir dafür, dass unsere Kunden innerhalb von 48 Stunden ein Ersatzgerät erhalten, vorausgesetzt das Gerät wurde in einem Laden der Telekom erworben.“
Für Muhammed Avci und seinen Vater Durmus Avci kommt das allerdings nicht in Frage. Sie haben das iPhone vor mehr als zwei Jahren gekauft, eine zusätzliche Garantie gibt es nicht.

Hersteller haftet bis zu drei Jahre nach Kenntnis des Fehlers

Bei Produktionsfehlern kommt außerdem die sogenannte Produkthaftung bei Folgeschäden in Frage: Wenn das Hochgehen des Akkus auf einen Produktionsfehler zurückzuführen ist, haftet der Hersteller bis zu drei Jahre nach Kenntnis des Fehlers für Folgeschäden. Dazu zählen Verletzungen sowie materielle Schäden. „Nicht vermeidbare Schäden fallen aber unter das allgemeine Lebensrisiko“, sagt Josina Starke.

Im vorliegenden Fall teilt Apple zum zerstörten iPhone des 15-Jährigen auf Anfrage unserer Redaktion lediglich mit, jeder solche Sachverhalt würde individuell geprüft, über Schadenersatz werden von Fall zu Fall entschieden.

Das rät der Rechtsanwalt der Familie

Rechtsanwalt Christoph Stumm, der Familie Avci berät, sieht hier allerdings schlechte Chancen. „Die Produkthaftung greift nur bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Fehlern des Produzenten, sofern er beim Herstellungszeitpunkt Akkus nach dem neusten Stand der Technik verbaut hat“, sagt Stumm. Da es sich hier um einen Einzelfall handelt, könne das Apple nicht vorgeworfen werden, sagt er.

„Selbst wenn das iPhone innerhalb der Gewährleistungszeit von zwei Jahren hochgegangen wäre, wäre die rechtliche Lage schwierig“, sagt der Rechtsanwalt. Denn nur wenn ein Schaden innerhalb der ersten sechs Monate nach Kauf auftritt, kann der Hersteller ohne weiteres dafür verantwortlich gemacht werden.

Beweislast liegt nach sechs Monaten beim Verbraucher

Nach der Überhitzung des Akkus ist sogar das iPhone-Display geschmolzen.
Nach der Überhitzung des Akkus ist sogar das iPhone-Display geschmolzen. © Privat | Privat

„Danach kehrt sich die Beweislast um und man muss dem Hersteller beweisen, dass der Fehler bereits zum Zeitpunkt des Kaufes vorhanden war“, erklärt Stumm. Er schätzt, dass ein solcher Beweis in diesem Fall nicht realistisch gewesen wäre.

Familie Avci hätte gegenüber dem Händler unter anderem beweisen müssen, dass sie das iPhone immer mit dem originalen Ladegerät geladen hat, dass das Handy nicht häufig unter Druck war und dass es nie lange in der Sonne lag. „Herr Avci und sein Sohn können jetzt auf Kulanz des Herstellers hoffen, mehr bleibt ihnen wohl nicht übrig“, resümiert Stumm.

„Ich hatte einfach sehr viel Pech“

Muhammed Avci hat trotz des schmerzhaften Vorfalls keine Angst davor, demnächst wieder ein Smartphone in den Händen zu halten und zu benutzen. „Ich hatte einfach sehr viel Pech“, sagt der 15-Jährige.