Berlin/Wien. Sie entlarven Tag für Tag Falschmeldungen im Netz. Wegen Anfeindungen reden die Macher von Mimikama aber auch über das Aufhören.

Sie nennen sich Fake-Jäger, doch die Arbeit von Mimikama.at ist vielschichtiger: Sie klären nicht nur gefälschte und erfundene Meldungen auf, sie warnen auch vor Phishing und Malware und widmen sich Verschwörungstheorien. Gut 20 Ehrenamtliche und die beiden hauptamtlichen Vereinsmitarbeiter Tom Wannenmacher (46) und André Wolf (38) stecken hinter Mimikama und „Zuerst denken, dann klicken“ (Zddk) auf Facebook. Wannenmacher und Wolf haben ein Buch über ihre Arbeit geschrieben. Wir haben mit André Wolf darüber gesprochen.

Macht es noch Spaß, Fake-Jäger zu sein?

Die Aufgabe an sich ist eine Herzensangelegenheit, wir sitzen täglich zwischen 13 und 15 Stunden daran. Da Mimikama zusätzlich auch mit einem schmalen Gehalt für uns verbunden ist, kann man im Grunde und abschließend nur sagen: ja, der Spaß an der Aufgabe, der Enthusiasmus und die Hingabe überwiegen. Auch wenn einige Themen wesentlich mehr Kraft kosten als andere.

Sie haben gerade mit einem Beitrag Nutzer aufgeschreckt, der danach klang, dass Ihr ans Aufhören denkt.

„Wenn es so weiter geht, dann wird es Mimikama in dieser Form nicht mehr geben.“ Das haben wir deutlich gesagt. Es geht um Folgendes: Mimikama lebt von der Kraft der Menschen, die hinter dem Projekt stehen. Wir haben kein Hochglanzbüro, keine Marketingmanager, keine Finanzverwalter oder ähnliches. Die Struktur an sich ist natürlich bedroht, wenn durch Diffamierungskampagnen, fehlende Unterstützung und auch einbrechende Moral das Projekt leidet. Wir kompensieren ganz viel mit Herzblut. Und da kann sich ein Ohnmachtsgefühl einstellen, wenn am Ende für die Arbeit und die Zeit ständig Drohungen mit ideologischem Charakter eintreffen. Das ist hart, zumal wenn auch die Familie dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Und dann gibt es eine Vielzahl von Nutzern, die keine Werbung sehen wollen, aber erwarten, dass die Inhalte gratis sind. Auf der anderen Seite hat uns die enorme Solidarität im Netz in den 24 Stunden nach unserem Posting natürlich gezeigt, dass ein Aufgeben der absolut falsche Weg wäre.

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Haben Sie denn das Gefühl, dass die Menschen inzwischen weniger naiv auf jede Geschichte hereinfallen?

Der Fake ist wandelbar, also der Inhalt zumindest. Ein Fake ist immer da erfolgreich, wo auch der kontextuelle, sowie zeitliche Zusammenhang passt. Ein Beispiel: Vor zwei Jahren hätte jeder über die Falschmeldung gelacht, dass die Bundesregierung heimlich jede Nacht Tausende Flüchtlinge über den Köln Bonner Flughafen nach Deutschland schmuggle. Heute nicht, da schreiben dutzende Blogs und Verlage über diese Geschichte und das Bundesinnenministerium sowie der Flughafen Köln Bonn müssen dementieren. Es hat nur bedingt etwas damit zu tun, ob man naiv ist. Es hat eher etwas damit zu tun, ob man selbst zu einem Fake passt.

Hat sich der Charakter der Fakes mit der Flüchtlingskrise geändert? Mehr Fakes aus Hass statt aus Gewinnstreben?

Der Charakter der Netzwerke und auch der Falschmeldungen hat sich generell geändert. Die Verbreitung bewusster Falschmeldungen ist professioneller geworden und grundsätzlich werden auch die Nutzer sozialer Netzwerke immer weiter radikalisiert. Gräben werden aufgeschüttet, Hass wird gesprochen, Menschen werden diffamiert, übel beleidigt und auch bedroht. Diese mittlerweile weitläufig verbreitete Unart des Zusammenlebens in sozialen Netzwerken kann man täglich beobachten. Und dann bewegen sich viele nur im Kreis Gleichgesinnter und in einer Filterblase und werden so bestärkt und weiter radikalisiert.

Wie erkennt ein Nutzer vielleicht ein Fake, wenn Mimikama es noch nicht entlarvt hat.

Es ist wichtig, dass man als Leser und Konsument von Internetinhalten auf Dauer auch ein Grundverständnis, sowie eine Grundfragestellung gegenüber fremden Inhalten entwickelt. Folgende, ganz banale Fragen können dabei hilfreich sein:

• WER steckt dahinter?

• WIE sind die Inhalte dargestellt?

• WARUM – Was ist die Intention dahinter?

• Wie ist der Gesamteindruck der Quelle?

Mimikama war mal die Instanz für Glaubwürdigkeit schlechthin. Jetzt werden Ihre Berichte auch häufiger angezweifelt...

Grundsätzlich geht es darum, dass wir hier auf Menschen treffen, die einfach nicht wollen, dass man über sie schreibt. Der krasseste Fall war hier die Seite Anonymous.Kollektiv, die nichts mit der eigentlichen Anonymous-Bewegung zu tun hat, sondern häufig durch rassistische Inhalte aufgefallen ist. Sie wurde auch dadurch bekannt, dass auf ihrer Facebookseite mit zwei Millionen Fans illegale Waffen beworben wurden, mit denen „Migranten“, Politiker und unliebsame Gegner „niedergestreckt“ werden sollten. Hier haben wir natürlich einen deutlichen Fingerzeig auf die Seite geleistet.

Die Seite hat sogar plump einen Kontoauszug gefälscht als vermeintlichen Beweis, dass Sie andere „AnonymousKollektiv“-kritische Medien bezahlen. Sie werden von dort diffamiert und erhalten Drohungen. Hatten Sie mit so etwas gerechnet als Sie das Projekt gestartet haben?

Als Thomas Wannenmacher 2011 mit dem Projekt begann, hat er tatsächlich als anonymer Schreiber agiert, gerade um sich zu schützen. Anfang 2014 haben wir jedoch beschlossen, eben nicht mehr anonym zu agieren, gerade weil wir Transparenz bieten wollen. Damit haben wir aber auch bewusst das Risiko in Kauf genommen, Gegenwind, sowie Anfeindungen bekommen zu können.

Welche Fakes sind besonders gemein?

Grundsätzlich alle Falschmeldungen, welche Menschen diffamieren und schaden. Das geht einfach nicht und da liegt auch unser innerer Antrieb. Es kann und darf nicht sein, dass bewusst Menschen manipuliert oder werden oder schädigend dargestellt werden. Hier sehe ich es als Pflicht an, darüber aufzuklären.

„Es bleibt immer was hängen“ – stimmt das?

Ein bisschen Dreck bleibt immer hängen. Das ist genau der Satz, den ich häufig im Zusammenhang mit Falschmeldungen im Netz nutze. Egal wie und wo: der Fake an sich ist spektakulärer als die Wahrheit. Er ist dramatischer, er verleitet dazu, durch den Nutzer geteilt zu werden. Das bedeutet: er bleibt auch irgendwo im Kopf hängen. Die Wahrheit ist da meist langweiliger und erreicht nur einen Bruchteil der Menschen, die vorher eine Falschmeldung verteilt haben. Insofern überlebt immer ein Teil des Fakes.

Und wie oft melden Ihnen Leute vermeintliche Fakes, die dann aber doch wahr sind?

Die Meldungen, welche uns erreichen, fragen nicht mehr grundsätzlich nach „Fake oder nicht“, sondern sind oftmals differenzierter geworden, da die Inhalte im Netz und in den sozialen Netzwerken schwieriger geworden sind. Es gibt oftmals Hybridfakes: Bilder oder Videos aus einem fremden Zusammenhang werden woanders reingemogelt, um eine Dramaturgie zu verstärken. Oder aber Texte, die uralt sind, werden plötzlich ohne Zeitangabe als aktuell verkauft.

Gibt es Fakes, bei denen Sie insgeheim sagen würden „Gut gemacht“?

Natürlich gibt es „gute gemachte“ Fakes. Da denke ich vor allem an die technisch wirklich gut gemachten Phishingmails. Saubere Struktur, einwandfreier Stil, gut vorgetäuschte Adressen. Die sehe ich immer häufiger und bin mir sicher, dass viele Menschen auf diese Mails hereinfallen – ohne es jemals zu bemerken.

Fakes, über die Sie schmunzeln können oder für die Sie Sympathie haben?

Ich fand es auch irgendwie lustig, als viele Leute den NFC-Chip vom Handy gekratzt haben, weil jemand verbreitete, damit werde man abgehört. Da entstand für die meisten kein wirklicher Schaden. Ich muss auch oft an einen Fake denken, bei dem wir gewarnt hatten, es könnten die verschaukelt werden, die blind vor Wut, Hass und Sozialneid sind. Und so kam es dann auch. Es ging um einen „Kontrollabriss“ für Handys für Asylbewerber, der sich als Aktion unter falscher Flagge herausstellte. Nachdem viele Menschen empört den Fake mit einem Foto angeblicher Freikarten für ein Smartphone geteilt hatten, wurde die Nachricht auf ihren Seiten geändert in „Ich bin ein strohdummer Nazi.“ Wir hatten gewarnt, dass es so kommen könnte – und das Beispiel zeigt auch, dass wir nicht nur Fakes „von Rechts“ aufklären.

Jemand hat Euch mal die „ehrenamtliche Müllabfuhr von Facebook“ genannt. Hat sich Facebook mal bedankt?

Wir kennen uns, zumindest im deutschsprachigen Raum, wir waren auch bereits vor zwei Jahren auf einen kurzen Termin in Berlin bei Facebook zu Besuch. Ansonsten haben wir keine Berührungspunkte, außer dass wir auf Facebook aktiv sind. Bei Hinweisen in wirklichen Härtefällen wie Kinderpornografie oder extreme Gewaltvideos nutzen wir dann natürlich diese direkte Bekanntschaft, damit ganz ganz schnell von Seiten Facebooks eingegriffen werden kann. Ansonsten arbeiten wir autonom. Völlig.

Gibt es ernsthaft jemanden, der glaubt, dass es AIDS-verseuchte Bananen gibt?

Ja. Das muss eigentlich als Antwort schon dazu reichen, aber es geht ja noch weiter: Untermalt werden jene Meldungen durch reale Bilder, die mit roten Streifen durchzogene Bananen zeigen. Es gibt diese Bananen, aber es handelt sich nicht um Blut, sondern um Folgen einer mangelhaften Nährstoffversorgungen, das Phänomen nennt sich “Dry rot”.

• „Die Fake-Jäger - Wie Gerüchte im Internet entstehen und wie man sich schützen kann“ ist ab September lieferbar. 272 Seiten, 18,80 Euro. Die Arbeit kann auch mit einer Spende unterstützt werden.