Berlin. Live-Videos, Bots, virtuelle Realität: das sieht Facebooks Zehn-Jahres-Plan vor. Der neue „Messenger“ könnte das Internet umkrempeln.

Wenn Facebook-Chef Mark Zuckerberg eine Neuheit ankündigt, schwingt da meist noch ein größerer Gedanke mit: Die Ankündigung, dass er seine „Live-Video“-Schnittstelle für Entwickler öffnet, bedeutet: Der Konzern-Chef erweitert Facebook zur Videoplattform. Wenn Zuckerberg sagt, dass künftig sogenannte Chat-Bots mit den Nutzern kommunizieren, könnte das die digitale Welt komplett umkrempeln.

Auf der Entwicklerkonferenz F8 in San Francisco zeigte das Unternehmen erneut, wie sehr es als Plattform das Internet dominieren will. Zuckerberg formulierte es in San Francisco so: „Wir entwickeln eine Technologie, dann formen wir daraus ein Produkt, das Milliarden Menschen verwenden können. Wenn das gelungen ist, bauen wir ein Ökosystem darum.“ Willkommen in Zuckerbergs schöner neuer Web-Welt.

Eine Facebook-Welt, die der Nutzer gar nicht mehr verlassen muss, scheint der große Entwurf von Zuckerberg zu sein. Ein Schritt dorthin: die nun vorgestellte „Messenger Platform“. Sie soll das große Vehikel für Unternehmen und Kunden sein, um in Zukunft miteinander zu kommunizieren. Bei bereits rund 900 Millionen Nutzern des aktuellen Messenger-Dienstes von Facebook versprechen sich auch die Unternehmen einiges davon. Es geht ums Geschäft. Und noch um sehr viel mehr.

Messenger als Super-App

Mithilfe von Chat-Bots soll alles einfacher werden. Sie sollen nervenaufreibende Telefon-Hotlines ersetzen, bei denen sich der Anrufer durch eine Zehn-Punkte-Auswahl quälen muss. Wie das aussehen kann, erklärte Facebook-Managerin Jessica Lee auf der Konferenz.

Auf dem Bildschirm hinter ihr erschien eine Nachricht des neuen Messenger-Dienstes: „Was für Schuhe möchtest du kaufen?“, stand dort. Die Auswahl: „1. Sneakers, 2. Halbschuhe, 3. Stiefel.“ Lee klickte eine Kategorie an, wählte eine Größe aus, einen Schuh, die Farbe und wählte dann schließlich aus: „Frage stellen“. Sie tippte: „Entspricht die Größenangabe auch tatsächlich der wirklichen Größe?“ Die Antwort: „Nein, sie fallen etwas kleiner aus. Besser wäre eine halbe Größe größer“. Diese Information liefert kein Mensch, sondern ein Chat-Bot – eine Maschine also.

Künstliche Intelligenz (KI) ist schon seit Jahren das Schlagwort, das die Debatte um die Zukunft des Internets bestimmt. Die großen Tech-Unternehmen wie Google und Microsoft glauben felsenfest daran, dass sich der Nutzer künftig vor allem mit digitalen Assistenten unterhalten wird. Die Strategie gründet auf einer einfachen Beobachtung: Wie beschäftigen sich Menschen im Netz am liebsten? Sie chatten (vor dem Hintergrund ist auch die Übernahme von WhatsApp für umgerechnet 17,4 Milliarden Euro zu sehen).

Dass beim Entwicklungsstand der Künstlichen Intelligenz allerdings noch Luft nach oben besteht, zeigte vor einigen Wochen ein Twitter-Chatbot von Microsoft mit dem Namen Tay. Der Bot lernte durch die Interaktion mit anderen Nutzern des Kurznachrichtendienstes. Die Folge: Tay sog so viel Hasskommentare auf, dass sie hauptsächlich „Hatespeech“ lernte. Und so twitterte sie folgerichtig: „Hitler hatte recht. Ich hasse die Juden.“

Nachrichten als Produkt

Die Bots des Facebook-Messengers sollen nicht lernen, sondern Fragen beantworten. Sie sind die digitalen Vermittler zwischen Konzern und Kunde. Oder zwischen Leser und Nachricht. Das führte Facebook-Managerin Jessica Lee am Beispiel eines Bots des Nachrichtensenders „CNN“ vor. Der liefert am Morgen die wichtigsten News des Tages. Eine Schlagzeile: „Tickets für Olympia 2016 verkaufen sich nicht“. Darunter die drei Optionen „Story lesen“, „Zusammenfassung anzeigen“, „Frage an CNN“.

Eine Erfindung von Facebook ist der Ausbau von Chat-Diensten nicht. In Asien sind Messenger-Dienste bereits alltägliche Allzweck-Werkzeuge: Die Nutzer bestellen über den japanischen Messenger-Dienst Line ihre Lebensmittel, lassen sich über den Dienst WeChat neue Kleidung liefern oder ein Taxi kommen. Um einen Blick in die Zukunft zu werfen, schickte Facebook seinen Messenger-Chef David Marcus bereits vor mehr als einem Jahr auf eine Inspirationsreise nach Fernost.

„Es ist wirklich faszinierend. Aber das Ganze funktioniert dort, weil der Markt ein anderer ist als bei uns“, resümierte Marcus nach seiner Reise in einem Interview. Der Grund: Zahlungen mit Kreditkarten sind in vielen asiatischen Ländern wenig verbreitet, weshalb das Zahlen per Messenger-Dienst in eine Nische stößt. Ebenso ist die Auswahl an originären Apps zum Beispiel von Lieferdiensten sehr viel eingeschränkter. In Deutschland wirft das aber die Frage auf: Was geschieht mit Apps von Lieferdiensten, wenn das Abendessen über den Facebook-Messenger bequem bestellt und bezahlt wird?

„Sie werden mehr Geld ausgeben“

Die logische Folge: Wenn die Etablierung dieser „Messenger Platform“ gelingen sollte, sehen Technik-Experten darin das Ende der heute verbreiteten Apps. Das US-Magazin „Wired“ schreibt bereits vom „Post-App-Internet“, in dem der Messenger-Dienst die neue Infrastruktur darstellt. Der renommierte Tech-Fachmann Ben Thompson sieht Messanger-Dienste als die Betriebssysteme der Zukunft. Vor allem auf Smartphones wachse die Bedeutung rasant. Denn wenn alle Apps über den Chat-Dienst laufen, gerät das eigentliche Betriebssystem – ob Apples iOS oder Googles Android – zunehmend in den Hintergrund.

Und natürlich dürfte Facebook damit seine Vormachtstellung im Netz weiter stärken. Der Messenger ist ab sofort offen für Entwickler. Unternehmen weltweit dürften nun unter Hochdruck daran arbeiten, die neuen Möglichkeiten auszuschöpfen. Messenger-Chef Marcus betonte auf der F8-Konferenz auch, dass der User bezahlen könne, ohne den Dienst zu verlassen. „Sie werden mehr Geld ausgeben als Ihnen lieb ist“, prophezeite Marcus. Das klingt wie ein Versprechen für die Unternehmen – oder wie eine Warnung für die Nutzer.