Berlin. Das Spiel Fallout 4 beginnt in einer amerikanischen Kleinstadt. Dann fallen Atombomben. Ein Rollenspiel-Meisterwerk mit Topbewertung.

Der Untergang der Welt – vor allem der atomar herbeigeführte – ist ein beliebtes Horrorszenario in Hollywoodfilmen, noch mehr aber in Videospielen. Ganz gleich ob wirre Wissenschaftler, größenwahnsinnige Diktatoren oder verblendete Terroristen – irgendwer droht in jedem zweiten Actiontitel die Welt in Schutt und Asche zu legen, wenn nicht der Held, also der Spieler, die Pläne im letzten Moment durchkreuzt. Am Ende ist die Erde dann doch noch einmal knapp an einer Katastrophe vorbeigeschlittert. Bei Fallout 4 scheint es diese Art von Helden nicht zu geben.

Post-nukleare Endzeiterfahrung

Das Spiel beginnt im amerikanischen Kleinstadtidyll. Der Protagonist oder die Protagonistin (der Spieler darf Aussehen und Geschlecht der Figur zu Beginn wählen) macht sich für den Tag fertig, tröstet den Sohn im Kinderbettchen und sieht dann im nebenbei plärrenden Fernsehen, wie die ersten Atombomben auf amerikanische Städte fallen. Nach einem kurzen Sprint der kleinen Familie zum praktischerweise nahe gelegenen Atombunker fegt die nukleare Feuerwalze auch über ihre Siedlung hinweg.

Mit diesem fulminanten Einstieg geht der neueste (tatsächlich fünfte) Teil der Reihe erstmals kurz in die Zeit vor der nuklearen Verwüstung zurück, in das Jahr 2077, das im Spiel allerdings eher nach den goldenen 50ern aussieht, abgesehen von den fliegenden Robotern natürlich.

Die eigentliche Handlung spielt aber auch diesmal wieder in den verstrahlten Weiten der amerikanischen Ödnis – denn die knapp dem Tod entronnene Kleinfamilie wird, kaum im Bunker angekommen, unter einem Vorwand direkt tiefgefroren. Die Spielfigur muss anschließend aus ihrer Kühlkammer heraus noch tatenlos zusehen, wie der Ehepartner ermordet und das Baby gekidnappt werden, bevor sie rund zweihundert Jahre nach Bunkereintritt wieder in die Überbleibsel der Zivilisation entlassen wird.

100.000 Zeilen Text wurden für Fallout 4 vertont

Hier beginnt nun das eigentliche Gameplay. Wahlweise aus der Ego- oder der Thirdperson-Perspektive erkundet man die absolut stimmungsvoll in Szene gesetzte Umgebung und erlebt eine Art postnuklearen Western-Epos: Auf der Suche nach dem verschwundenen Sohn begegnet man zahlreichem Personal allerlei unterschiedlicher Fraktionen. Da sind die verstreuten Siedler, die gemeinsam mit den Minutemen-Sheriffs ums Überleben kämpfen, die Brotherhood of Steel, eine Art moderner Ritterorden in stählernen Powerrüstungen, sowie einige weitere Gruppen, denen man sich im Verlauf des Spiels auch anschließen kann. Weit über 100 000 Zeilen Text wurden für die Dialoge vertont. Doch natürlich wird auch gekämpft. Wahlweise in Echtzeit und Shooter-Manier oder in einem besser planbaren Zeitlupenmodus geht es gegen Gesetzlose, allerlei atomar verseuchtes Getier bis hin zu übellaunigen Supermutanten.

Mit der Zeit sammelt unser Held Erfahrungspunkte und kann diese in die Verbesserung etlicher Fähigkeiten investieren und so entscheiden, ob man lieber als waffenschwingender Kraftprotz oder doch lieber als unauffälliger Hacker vorgehen möchte. Der Haupthandlungsstrang ist dabei nur eine grobe Orientierung, die frei begehbare Welt von Fallout 4 bietet so viele Aufgaben und Ablenkungen, dass man sich mühelos wochenlang mit dem Spiel beschäftigen kann.

Liebe auf den ersten Blick dürften viele Spieler für Fallout 4 allerdings nicht empfinden – und das liegt nur zum Teil daran, dass die Grafik im Vergleich zu Spielen wie The Witcher 3 recht altbacken aussieht. Die Entwickler haben sich schlicht wenig Mühe damit gegeben, die Spieler an die Hand zu nehmen und ihnen etwa den komplexen Basisbau oder die Modifikation von Gegenständen zu erklären. So braucht man eine gewisse Zeit, bis man alle Mechanismen des Spiels wirklich verstanden hat. Dann allerdings entfaltet sich eine so vielseitige, spannende und liebevoll gestaltete Spielerfahrung, dass man diese Schwächen gern und vollständig verzeiht. Wer Spaß an weitläufigen, toll erzählten Rollenspielen hat, wird mit Fallout 4 für eine lange Zeit glücklich sein.

Wertung: Fünf von Fünf Sternen
>> Bethesda, PC, PS4, XboxOne, ab 18 Jahren, ca. 60 Euro