Berlin. Die nahe Sicht auf den Handy-Screen beeinflusst laut Ärzten das Wachstum des Augapfels. Auch der grüne Star beschäftigt Augenmediziner.

Die rapide Ausbreitung starker Kurzsichtigkeit, die zunehmend auch jüngere Menschen betrifft, bereitet Augenärzten Sorge. 15 Prozent der 75-Jährigen, 34 Prozent der 50-Jährigen, aber bereits 46 Prozent der 25-Jährigen in Europa sind kurzsichtig, besagen die aktuellsten Zahlen des European Eye Epidemiology Consortium von 2015. In Deutschland ist Schätzungen zufolge mindestens jeder Vierte betroffen.

„Vor allem bei den Jüngeren sind die Ursachen bei den Umweltbedingungen und Lebensgewohnheiten zu suchen. Nicht nur das Lesen, auch die Arbeit am Computer oder die Zeit, die man mit dem Smartphone verbringt, wirken sich aus“, sagt Privatdozent Dr. Joachim Wachtlin, Chefarzt der Klinik für Augenheilkunde im Berliner St.-Gertrauden-Krankenhaus. Die nahe Sicht auf den Bildschirm scheine das Längenwachstum des Augapfels anzuregen.

Die Netzhaut wird anfällig für Schäden

Kurzsichtig ist ein Auge, wenn der Augapfel „zu lang“ oder der Brechwert der Linse zu hoch ist – das bedeutet, dass einfallende Lichtstrahlen sich bereits vor der Netzhaut bündeln. Das Ergebnis ist ein Abbildungsfehler, der weit entfernte Objekte unschärfer erscheinen lässt als nahe gelegene.

„Bei einer Kurzsichtigkeit von minus 6 Dioptrien (Maßeinheit für die Brechkraft, d. Red.) spricht man von einer krankhaften Myopie“, erklärt Wachtlin. In solchen Fällen steigt das Risiko von Augenerkrankungen: „Unter anderem wird das Auge dünnwandig und die Netzhaut anfällig für Schäden.“ Kurzsichtige Menschen sollten sich daher regelmäßig untersuchen lassen.

Untersuchungen aus Asien zeigen, dass dort die Zahl der betroffenen Kinder extrem ansteigt, und dass sie vor starker Kurzsichtigkeit bewahrt werden können, wenn sie häufiger im Tageslicht unterwegs sind und immer wieder Abstand zum Bildschirm von Computer oder Smartphone nehmen.

Der Aufenthalt im Freien wirkt der Kurzsichtigkeit entgegen

Bei einer Studie in China gab es bereits deutliche Effekte auf das Augenwachstum, wenn die Jungen und Mädchen nur für eine Stunde täglich zum Toben nach draußen geschickt wurden. Entsprechende Aufklärungsarbeit und Pilotprojekte in Schulen könnten Wachtlin zufolge die Entwicklung der krankhaften Kurzsichtigkeit ausbremsen.

Neben der Myopie bleibt auch der grüne Star ein Problem, das Ärzte und Forscher der Augenheilkunde stark beschäftigt. Hinter dem harmlos klingenden Namen verbirgt sich eine unheimliche Krankheit, die in der Fachsprache Glaukom heißt, und von der in Deutschland mehr als eine Million Menschen betroffen sind.

Ein Glaukom bemerkt man erst, wenn die Folgen nicht mehr rückgängig gemacht werden können: Der Sehnerv wird nach und nach zerstört, das Gesichtsfeld schrumpft.

Die Ursache für grünen Star ist nicht immer klar

„Der Sehnerv lässt sich mit einem Datenkabel vergleichen, das das Auge mit dem Gehirn verbindet. Er ist etwa vier Millimeter dick und besteht aus rund einer Million Nervenfasern“, erläutert Prof. Lutz E. Pillunat, Direktor der Universitäts-Augenklinik Dresden. Immer wieder werde ein zu hoher Augeninnendruck dafür verantwortlich gemacht, dass diese Nervenfasern absterben.

Doch es gibt auch das sogenannte „Normaldruckglaukom“. Das bedeutet, dass die Krankheit voranschreitet, obwohl kein erhöhter Augeninnendruck gemessen wird.

Auf die Frage, was bei solchen Patienten anders ist, gibt es Pillunat zufolge keine einheitliche Antwort. Eine Ursache könnte die Therapie mit Betablockern gegen zu hohen Blutdruck sein: Sie kann dafür sorgen, dass der Blutdruck vorübergehend stark sinkt und der Sehnervkopf nicht ausreichend durchblutet ist.

Ab dem 40. Lebensjahr sollte man zur Vorsorgeuntersuchung gehen

Auch sogenannte Vasospasmen, bei denen sich Blutgefäße krampfartig verengen, könnten eine schlechte Durchblutung des Gewebes verursachen. „Die Möglichkeit, den Augeninnendruck zu senken, ist bei Patienten mit Normaldruckglaukom nur eingeschränkt gegeben. Bei ihnen zielt eine Therapie eher darauf ab, die Durchblutung am Augenhintergrund zu verbessern“, sagt Pillunat.

Damit Augenerkrankungen früh erkannt und behandelt werden, raten Augenärzte ab dem 40. Lebensjahr zu regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen. Diese werden allerdings in der Regel nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt, sondern schlagen meist mit rund 21 Euro zu Buche.

Dr. Ludger Wollring, Sprecher des Berufsverbands der Augenärzte, kritisiert dies: Ein Glaukom beispielsweise kann nach seinen Worten nur durch eine Augendruckmessung zusammen mit einer Untersuchung des Sehnervs in der Augenarztpraxis festgestellt werden. Der Sehtest beim Optiker sei kein Ersatz dafür.

Neue Verfahren werden vom Gemeinsamen Bundesausschuss blockiert

Ausgebremst fühlt sich der Verband auch, was neue diagnostische Verfahren angeht: Dies betrifft etwa die optische Kohärenztomografie, kurz OCT, mit der Netzhautschichten sichtbar gemacht werden. Diese weltweit anerkannte Methode werde vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland blockiert.

Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, hält dagegen: „Die Aufgabe des Ausschusses ist, zum Schutze der Patienten nur auf Grundlage eindeutiger Nutzenbelege Untersuchungs- und Behandlungsmethoden – auch in der Augenheilkunde – als GKV-Leistung anzuerkennen.“ Die OCT werde derzeit zur Diagnostik und Therapiesteuerung verschiedener Erkrankungen überprüft.

Voraussichtlich noch in diesem Jahr werde ein Beschluss dazu gefasst. Was das Glaukom-Screening angehe, so ist Hecken zufolge in letzter Zeit weder von Ärzte-, Kassen- oder Patientenseite ein weiterer Antrag zur erneuten Bewertung gestellt worden. „Im Übrigen kann die Messung des Augeninnendrucks bei begründetem Verdacht zulasten der gesetzlichen Krankenkassen vorgenommen werden“, so Hecken.

Auch die Verbraucherschützer von Stiftung Warentest kommen nach einer aktuellen Auswertung wissenschaftlicher Übersichtsstudien zu einem differenzierten Urteil: Die Glaukom-Vorsorgeuntersuchung sei zwar für Menschen mit Risiko­faktoren sinnvoll, als Reihen­unter­suchung für alle Gesunden habe sie aber sowohl für 40- als auch für 60-Jährige nur geringen Nutzen.