Berlin. Bauchlage gilt als Hauptrisikofaktor beim plötzlichen Kindstod. Experten diskutieren, ob eine Sonografie von Hirngefäßen helfen kann.

Ein Kind zu verlieren gehört zum Schlimmsten, was Eltern widerfahren kann. Der plötzliche Kindstod, in der Fachsprache auch Säuglingstod genannt – kurz SIDS –, gilt nach wie vor als häufigste Todesursache bei ansonsten gesunden Babys oder Kleinkindern. Die meisten Fälle treten laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Alter zwischen zwei und vier Monaten auf. Die Bauchlage sei einer der Hauptrisikofaktoren, ebenso Zigarettenrauch und Überwärmung.

„Die Abkürzung SIDS für Sudden Infant Death Syndrome suggeriert, dass da eine Krankheit dahintersteckt“, erklärt Gerhard Jorch, Kindstodforscher und Direktor der Universitätskinderklinik Magdeburg. Das sei aus seiner Sicht nicht der Fall. „Der Begriff ist dadurch definiert, dass man die Ursache für den plötzlichen Tod eines Babys nicht kennt, und deswegen wird man für diesen Begriff auch nie eine Ursache finden.“

Trotzdem gibt es Faktoren, die das plötzliche Versterben zu begünstigen scheinen: „In Deutschland Ost und West gab es im Jahre 1990 etwa 1300 Fälle von plötzlichem Säuglingstod“, sagt Jorch. „Wir haben dann festgestellt, dass die meisten dieser Kinder dadurch starben, dass sie in Bauchlage oder unter Überdeckung nicht genug Sauerstoff aufgenommen haben. Sie sind also an einem Sauerstoffmangel gestorben – lautlos.“

Herzrhythmusstörungen als mögliche Ursache

Eine Tatsache, die auch schon in der ehemaligen DDR entdeckt worden war. „Daraufhin gaben die dortigen Gesundheitsbehörden die Anweisung, dass alle Kinder auf dem Rücken zu schlafen hätten“, erklärt Kinder- und Jugendarzt Hermann Josef Kahl vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte.

Durch diese Erkenntnis und entsprechende Aufklärung der Eltern sterben heute deutlich weniger Babys als früher. Laut Jorch gibt es aktuell etwa 200 plötzliche Kindstode pro Jahr. „Das sind Fälle, in denen gegen Schlafempfehlungen verstoßen wird oder andere Ursachen dahinterstecken – beispielsweise Krankheiten, die man nach dem Tod nicht nachweisen kann.“ Hierzu zählten Herzrhythmusstörungen oder Unterzuckerung.

Die Angst, den Nachwuchs irgendwann selbst doch nicht schlafend, sondern tot vorzufinden, ist unterschwellig immer da. „Das ist eine ganz grausame Situation, wenn das eigene Kind plötzlich tot im Bett liegt“, sagt Kahl. „Es ist wichtig, dass sich betroffene Eltern an professionelle Hilfestellen wenden, um psychologische Betreuung zu bekommen.“ Genauso wichtig sei aber auch Hilfe aus der Verwandtschaft.

Blutströmung wird durch Kopfbewegungen beeinflusst

Statistisch gesehen ist das Risiko für den plötzlichen Kindstod gering. „In den 90er-Jahren waren es noch über ein Promille. Inzwischen sind es etwa 0,5 Promille“, sagt Karl-Heinz Deeg, Chef der Kinderklinik in Bamberg. Aus seiner Sicht ließe sich die Zahl der verstorbenen Säuglinge mit SIDS-Diagnose noch deutlicher minimieren – mit einer Dopplersonografie der Hirnbasisgefäße.

Deeg vermutet als eine mögliche und nach dem Tod nicht nachweisbare SIDS-Ursache eine Minderdurchblutung des Hirnstammes. „Der Gehirnstamm ist das Zentrum im Hirn, wo Atmung und Kreislauf reguliert werden. Wenn dieser nicht mehr gut durchblutet wird, funktioniert er nicht mehr richtig. Dann hört das Kind zum Beispiel im Schlaf plötzlich auf zu atmen“, erklärt Deeg.

Mittels einer Ultraschalluntersuchung über die Fontanelle stellte er fest, dass bei einigen Babys die Blutströmung in den Hirnbasisarterien bei Kopfbewegung zur Seite – sowohl in Rücken- als auch in Bauchlage – dramatisch abfällt. Deeg: „Diese Kinder können dann eine Minderdurchblutung des Hirnstammes erleiden.“

Neue Theorie ist nicht wissenschaftlich nachgewiesen

Neugeborene, deren Messwerte auffällig sind, werden mit einem Überwachungsgerät versorgt, strikte Rückenlagerung wird angeordnet. So können die Kleinen den Kopf nicht wesentlich drehen, und die Arterie wird besser versorgt. Zudem wird den Eltern zu einem Erste-Hilfe-Kurs für Säuglinge geraten, um ihr Kind im Ernstfall wiederbeleben zu können.

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    Seit Start der Untersuchung ging die SIDS-Rate in Bamberg drastisch zurück. „Seit 1998 haben wir über 35.000 Kinder untersucht. Wenn das alles nicht richtig wäre, hätten davon rein statistisch zwischen 20 und 30 Kinder am plötzlichen Kindstod sterben müssen, “, so Deeg. „Es sind aber von den Kindern, die wir untersucht haben, nur zwei am plötzlichen Kindstod gestorben.“ Bei ihnen habe das Screening jedoch keine Auffälligkeiten gezeigt.

    Wissenschaftlich nachgewiesen ist Deegs Theorie nicht. „Hätte man das exakt zeigen wollen, dann hätten wir die ganzen Untersuchungen machen müssen, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen“, erklärt der Chef der Bamberger Kinderklinik. Nur so hätte man gesehen, ob die Minderversorgung wirklich ein Risikofaktor sei. „Wir haben jetzt das Ergebnis vorweggenommen, weil es aus ethischen Gründen gar nicht anders möglich gewesen wäre.“

    „Ein Risiko, das es eigentlich gar nicht gibt“

    Unter Medizinern ist Deegs Programm umstritten. Es gibt Befürworter, die das Screening mittlerweile selbst anbieten, aber auch Kritiker wie Kahl oder den Kindstodforscher Jorch. „Ich will nicht ausschließen, dass es von den vielen Tausend Kindern, die mit SIDS-Diagnose gestorben sind, auch mal ein oder zwei nach dem Mechanismus gestorben sind, den Herr Deeg propagiert“, meint Jorch. „Aber das ist wirklich nur ein spekulativer Mechanismus unter vielen Hundert.“

    Zwar mache die Untersuchung Mütter glücklich, da sie von einer Angst befreit würden, doch ist dies laut Jorch eine Angst vor einem Risiko, das es eigentlich gar nicht gibt. „Ich finde, die Ressourcen, die man da verschwendet, sollten in andere Dinge gesteckt werden, die viel notwendiger sind“, fordert Jorch, „beispielsweise eine noch bessere Aufklärung der Eltern.“ Schließlich werde auch in Bamberg am Ende die so wichtige Rückenlage angeordnet.