Berlin. Eine neue Studie belegt, dass Ärzte ihre Rücken-Patienten häufig unnötigerweise röntgen. Wir zeigen, was Betroffene selbst tun können.

Volkskrankheit Rückenschmerzen: Die meisten Deutschen haben mindestens einmal in ihrem Leben darunter gelitten. Bei den Gründen für Fehlzeiten am Arbeitsplatz rangiert der Rückenschmerz laut dem aktuellen Gesundheitsbericht der Techniker Krankenkasse auf den vorderen Plätzen. Nun zeigt eine aktuelle Auswertung der Bertelsmann Stiftung von Versichertendaten: 2015 suchte jeder Zweite von Rückenschmerzen Geplagte einen Arzt auf. Dabei sind die Schmerzen meist harmlos und verschwinden von alleine wieder. Mehr als die Hälfte der Betroffenen wurde außerdem geröntgt – eine viel zu hohe Quote, sagen medizinische Fachleute. Eine Einordnung:

Die Ursachen

Nach Angaben der Deutschen Schmerzliga stecken hinter Rückenschmerzen nur sehr selten ernste Erkrankungen wie etwa Krebs oder auch Rheuma. Bei etwa neun von zehn Patienten handele es sich um funktionelle oder auch unspezifisch genannte Rückenschmerzen, die sich nicht auf eine bestimmte Krankheit zurückführen lassen. 85 Prozent der Beschwerden gelten laut der Bertelsmann-Studie „Faktencheck Rücken“ als unkompliziert und verschwinden wieder.

Reinhard Schneiderhan, Präsident der Deutschen Wirbelsäulenliga und Orthopäde in München, spricht von fünf typischen Ursachen für Rückenschmerzen: Langes Sitzen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Stress und schweres Tragen. „Der Bewegungsapparat heißt nicht umsonst so. Wer zu lange statisch sitzt, wird ihn ärgern“, erklärt Schneiderhan. „Bei den meisten rühren die Schmerzen von einer Unterforderung des Rückens“, bestätigt Dr. Ingo Froböse vom Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation an der Sporthochschule Köln. Häufig verspannen dann die Muskeln, die das Skelett aufrecht halten. Bei den Männern sei das vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule der Fall, bei den Frauen besonders häufig im Nacken, so Schneiderhan. „Auch Stress ist ja eigentlich innere Anspannung. Manche Menschen reagieren mit Magenproblemen, aber viele eben auch mit verspannten Muskeln“, sagt Orthopäde Schneiderhan.

Bei längerfristigem Bewegungsmangel lasse die Muskulatur nach, „und die Bandscheiben werden nicht ausreichend mit Wasser und Nährstoffen versorgt“, erklärt der Experte. Bei moderater Bewegung entstehe eine Pumpbewegung, bei der sich die Bandscheiben mit Flüssigkeit vollsaugen – so bleibe die knorpelige Knochenverbindung intakt. Eine weitere und zunehmend bedeutende Belastung sei Übergewicht, das auf die wie Stoßdämpfer zwischen den Wirbeln liegenden Bandscheiben drücke.

Vorbeugung

Das Zauberwort zur Vorbeugung heißt in jedem Fall: Bewegung. Angefangen mit dem sogenannten Aktivsitzen, also etwa auf einem Ball oder einem semiflexiblen Stuhl, sodass der Körper auch im Sitzen in Bewegung bleibt. „Es kann auch schon reichen, regelmäßig aufzustehen, umherzugehen, Dinge im Stehen zu erledigen oder regelmäßig die Sitzposition zu ändern“, rät Froböse. Einen orthopädischen Stuhl perfekt auf den Körper abzustimmen und darin zu sitzen „wie in einem Korsett“ hält der Experte für kontraproduktiv. „Solche Hilfen gelten als rückenschonend. Aber der Rücken soll nicht geschont, sondern aktiviert werden“, so Froböse.

Man könne sich auch ab und zu mal in einen Sessel lümmeln und zur Dehnung der Muskulatur dabei ein Bein über das andere schlagen, ergänzt Schneiderhan: „Es muss nicht immer die optimale aufrechte Sitzposition sein.“ Wichtig sei, auf den Körper zu hören und Dinge zu tun, die sich gut anfühlen.

Um gezielt den Rücken zu stärken, empfehlen Experten zum Beispiel ein Rücken-Rumpf-Training. Übungen können sowohl zu Hause als auch in speziellen Kursen gemacht werden. „Wer noch ein bisschen Spaß dabei haben will, kann zum Beispiel schwimmen“, sagt Schneiderhan. Das gelte für Brust- und Rückenkraulen, nicht jedoch für Brustschwimmen oder Delfin. Auch Pilates oder Yoga seien wegen der fließenden Bewegungen zu empfehlen. „Abgesehen von Spiel- und Kampfsportarten, bei denen ein stabiler Rücken wichtig ist, eignet sich im Grunde jeder Sport“, sagt Froböse, „besonders solche, bei denen sich links und rechts abwechseln – wie kraulen oder radeln“. So würden auch die tief an der Wirbelsäule liegenden Muskeln trainiert.

Behandlung

Bewegung, die vorbeugend hilft, wirkt sich in der Regel auch positiv auf schon bestehende Rückenschmerzen aus. Einzige Ausnahme ist der Ischiasschmerz, der vom Rücken ins Bein zieht. „In diesem Fall kann man sich mit dem Rücken flach auf den Boden legen und die Unterschenkel auf einem Stuhl ablegen“, erklärt Schneiderhan die sogenannte Stufenlagerung. Knie- und Hüftgelenk bilden so einen 90-Grad-Winkel.

Die Auswertung der Bertelsmann Stiftung kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass Ärzte noch immer zu häufig Schonung oder Ruhe verordnen. Außerdem würden Ärzte Patienten zu oft mithilfe von bildgebenden Verfahren untersuchen. Dabei sollen laut medizinischen Leitlinien bildgebende Verfahren bei Kreuzschmerzen nicht routinemäßig eingesetzt werden. Auch bei den Patienten herrscht hier laut Bertelsmann-Studie ein falsches Bild: 60 Prozent erwarten demnach sogar ein MRT, 70 Prozent hoffen, dass der Arzt so die genaue Ursache findet, aber nur bei etwa 15 Prozent ist das der Fall. „Zu viele Patienten gehen mit Rückenschmerzen zum Arzt, dabei könnten sie das Problem oft selbst lösen“, ist auch Froböse überzeugt. Angebracht ist ein Arztbesuch, wenn „die Schmerzen schlimmer werden, etwa die Blasenfunktion gestört ist oder der Patient ein Taubheitsgefühl hat“, ergänzt Orthopäde Schneiderhan. Zunächst könne man sich aber mit Schmerzmitteln behelfen.

Oft führt das bildgebende Verfahren auch auf eine falsche Fährte, sagt Eckhard Volbracht, bei der Bertelsmann-Stiftung zuständig für den „Faktencheck Rücken“. So zeigten die meisten Röntgenbilder von Über-60-Jährigen Verschleiß an – ob das nun mit den Rückenschmerzen zu tun hat oder nicht. Werden solche Befunde überbewertet, ist der Patient verunsichert, weitere Untersuchungen und unnötige Therapien könnten folgen.

Auch bleiben mögliche Einflussfaktoren wie Stress, Unzufriedenheit am Arbeitsplatz oder eben Bewegungsmangel auf Röntgen- oder MRT-Aufnahmen unentdeckt, heißt es in der Bertelsmann-Studie.