Berlin. Deutschland muss sich vor mehreren Arten von Blutsaugern in Acht nehmen. Der Kampf gegen Mücken wird dabei an vielen Fronten geführt.

Regenstürze und Wärme beherrschen diesen Frühsommer – ideale Fortpflanzungsbedingungen für Mücken. Experten warnen vor riesigen Schwärmen, die Deutschland heimsuchen könnten. Die Blutsauger sind nicht nur nervig, sie gehören zu den gefährlichsten Tieren der Welt. Sie können schwere, potenziell tödliche Krankheiten übertragen, die jährlich Tausende das Leben kosten. Malaria, Dengue und Gelbfieber grassieren in Afrika und Asien, in Südamerika macht das Zika-Virus Schlagzeilen. Lange wähnte man sich in Deutschland sicher, es wurde kaum in die Erforschung von Stechmücken investiert. Doch fremde Arten und Erreger haben Europas Grenzen längst überquert. Ob sie ein Risiko darstellen, wird derzeit mit Hochdruck untersucht.

Welche Mücken sind immigriert?

Zwei fernöstliche Stechmückenarten fühlen sich in Deutschland wohl: die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) und die Asiatische Buschmücke (Aedes (Hulecoeteomyia japonicus). „Den ersten Hinweis auf Buschmücken haben wir 2012 bekommen“, sagt Doreen Walther, Diplom-Biologin am Institut für Landnutzungssysteme am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF). „Sie ist in Deutschland bereits heimisch, man wird sie auch nicht mehr los. Fast ganz Baden-Württemberg ist besiedelt, ebenso das französische Elsass, Teile West-, Nord- und Südostdeutschlands, große Teile der Schweiz und Teile Österreichs“, bestätigt Helge Kampen, Laborleiter am Institut für Infektionsmedizin (IMED) des Friedrich-Loeffler-Instituts. Gemeinsam haben die beiden Wissenschaftler und ihre Institutionen 2012 den Mückenatlas ins Leben gerufen. Bei dem Projekt können Bundesbürger Mücken fangen und einschicken, um die Forscher beim sogenannten Monitoring zu unterstützen – also dabei, herauszufinden wo sich welche Arten in Deutschland ausgebreitet haben. Bekommen die Forscher Einsendungen auffälliger oder neuer Arten, reisen sie an den Fundort und „kartieren ihn detektivmäßig“, wie Walther es beschreibt. Besonders ergiebig seien Friedhöfe, „weil die eingewanderten Mücken ihre Eier zum Beispiel in halb gefüllte Vasen, halb volle Gießkannen und ähnliche seichte Wasserquellen legen. Heimische Arten bevorzugen tieferes Wasser “, so Walther. 2015 habe es die ersten Nachweise für die Tigermücke aus Thüringen, NRW, Baden-Württemberg und Bayern gegeben. Sie liebt im Gegensatz zur Buschmücke die Wärme. Es wurde daher angenommen, dass sie sich in Deutschland nicht ansiedeln könne. „Wenn sie jedoch eine Nische etwa in der Kanalisation findet, in der es auch im Winter keinen Frost gibt, ist eine Überwinterung möglich“, sagt Walther.

Welche Erreger übertragen sie?

„Die Tigermücke und die Buschmücke werden besonders untersucht, weil sie Krankheiten übertragen können“, sagt Helge Kampen. In Italien, wo sich die Tigermücke mittlerweile fest etabliert hat, zeigte sich ihre fatale Fähigkeit 2007, als in der norditalienischen Region Emilia-Romagna eine Chikungunya-Epidemie ausbrach, eine mit Fieber einhergehende Tropenkrankheit, die starke Gelenkschmerzen verursacht. Ein Reiserückkehrer hatte die Infektion aus Indien eingeschleppt. „2012 gab es in Italien über 2000 Fälle von Denguefieber“, so Kampen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jährlich 96 Millionen Menschen an Denguefieber erkranken und 12.500 daran sterben.

Ob eine Mücke überhaupt bestimmte Erreger weitergeben kann, ist von mehreren Faktoren abhängig. „Jede Mücke kann grundsätzlich Erreger aufnehmen, aber innerhalb der Mücke treffen sie auf verschiedene Barrieren“, erklärt Biologin Walther, „sie müssen etwa in der Lage sein, die Darmwand der Mücke zu durchbrechen, sich zu vermehren und danach in die Speicheldrüse zu gelangen, um weitergegeben werden zu können“. Es gebe ein Ranking der Gefährlichkeit, das die sogenannte Vektorkompetenz der Mücken definiert, also wie gut sie Erreger aufnehmen und weitergeben können. „Ganz oben steht die Gelbfiebermücke, im europäischen Raum gibt es sie bislang nur in Madeira und Georgien“, sagt Walther, „Platz zwei belegt die Tigermücke, sie kann 27 verschiedene Virenarten übertragen und steht auch im Verdacht den Zika-Virus übertragen zu können.“ Bei Buschmücken, die auf Platz drei stehen, ließe sich die Vektorkompetenz für bestimmte Erreger bislang nur im Labor zeigen – im Freiland noch nicht. Allein die Fähigkeit, einen Erreger übertragen zu können, macht Mücken noch nicht gefährlich.

„Sie müssen sich zunächst selbst infizieren, also einen Menschen stechen, der den Erreger trägt – Tropenreisende können solche Erreger mitbringen“, sagt Kampen. Kann sich der Erreger in der Mücke entwickeln, kann sie ihn etwa eine Woche später weitergeben – in der Natur lebt eine Mücke bis zu sechs Wochen. In dieser Zeit müsste sie es schaffen, einen weiteren Menschen zu stechen. „Es gibt also einige Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit einschränken, dass in Deutschland eine Dengue- oder Chikungunya-Epidemie ausbricht. Aber das Risiko besteht“, sagt Kampen. Im vergangenen Jahr standen die Chancen für so ein Ereignis bereits gut: „In Freiburg gab es einen Patienten, der mit Denguefieber nach Deutschland zurückgekehrt ist. 300 Meter weit weg gab es Tigermücken, die diesen Erreger hätten weitergeben können“, erklärt Walther.

Was sind die Ursachen?

Schuld an der Einschleppung der neuen Arten ist vor allem die Globalisierung – also der Mensch, sind sich Experten sicher. „Ein wichtiger Faktor ist etwa der internationale Gebraucht­reifenhandel“, erklärt Kampen. Dazu muss man wissen, dass ein Großteil der eingeschleppten Problemmücken zur Gattung Aedes gehört. Die Arten dieser Gattung legen ihre Eier nicht in Wasser, sondern auf geeignete feuchte Oberflächen oberhalb des Wasserspiegels. Wenn dieser steigt, schlüpfen die Larven. „Das kann zum Beispiel ein feuchter Autoreifen sein“, so Kempen. Gebrauchte Reifen seien in Asien ein riesiges Geschäft. „Die Mücken legen ihre Eier dort ab. Anschließend werden die Reifen verschifft, und mit ihnen reisen auch die Mücken aus – vor allem nach Italien, Frankreich, Holland und Belgien“, sagt Kempen. Mit dem Fernverkehr gelangen sie auch nach Deutschland. Das zweite Problem seien tropische Pflanzen, wie etwa der Glücksbambus – grüne Bambusstöcke, die mitunter einzeln in kleinen Plastikröhren nach Europa kommen. „Auch dort legen die Mücken ihre Eier ab. Das ist besonders in Holland und Belgien ein großes Problem“, sagt Kempen.

Sind heimische Arten eine Gefahr?

In Bezug auf heimische Mücken herrscht große Unsicherheit, es ist schlicht zu wenig darüber bekannt, welche Erreger sie weitergeben können. Der Weckruf, in diese Richtung zu forschen, kam 2006, als unter europäischen Rindern die durch Mücken übertragene Blauzungenkrankheit grassierte. „Bis heute weiß man nicht genau, wie und warum es zu dem Ausbruch kam. Bis dahin war man der festen Überzeugung, dass heimische Mücken diese Erreger gar nicht übertragen können“, sagt Kampen. Es gibt in Deutschland 52 heimische Stechmückenarten. „Einige wenige davon können sogar Malaria übertragen“, so Kampen. Bis nach dem zweiten Weltkrieg sei auch Deutschland ein Malarialand gewesen. In Europa gab es damals große Bekämpfungsprogramme, die Mücken wurden stark reduziert. „Danach gab es zunächst keinen Bedarf für weitere Maßnahmen, die Stechmückenforschung kam zum Erliegen.“ Erst nach der Jahrtausendwende entstanden wieder erste Projekte.

Was sind die Gegenmaßnahmen?

Gegen die Tigermücke wurden bereits Maßnahmen eingeleitet. In Heidelberg und Freiburg wurde sie 2015 mithilfe des Bacillus Thuringiensis Israelensis bekämpft. Er wird in Tablettenform etwa in Regentonnen und andere potenzielle Brutquellen geworfen. Nehmen Mücken ihn auf „verändert sich die Durchlässigkeit des Darms, die Mücken platzen quasi von innen. Nicht jedes Bundesland befürwortet den Einsatz, weil noch nicht abschließend erforscht ist, welchen Einfluss es auf das Nahrungsnetz im Ökosystem hat“, erklärt Walther. In Labors rund um den Globus arbeiten Forscher zudem daran, Mücken genetisch zu verändern, um sie an der Fortpflanzung zu hindern. Doch „genetisch modifizierte Mücken werden zur Bekämpfung in Deutschland in den nächsten zehn Jahren keine Rolle spielen, dafür fehlt die Akzeptanz“, ist sich Kempen sicher. Getestet wird die Methode aber schon – auf isolierten Inseln in Südamerika.