Studie: Salzsparer sterben häufiger an Herzinfarkt und Schlaganfall. Ist fades Essen ungesund? Hamburger Ärzte sind skeptisch.

Hamburg. Salz hat sich gemausert. Vom langweiligen Alleinwürzmittel im öden Pappkarton zum trendigen Lifestyleprodukt mit Genussfaktor. Die Auswahl ist groß, und für jede Gelegenheit ist etwas dabei: Fleur de Sel vom Atlantik, rosafarbenes Himalaya-Salz in gläsernen Salzmühlen und mit Jod oder Fluorid angereichertes Speisesalz. Doch das schlechte Gefühl beim Salzen sitzt immer mit am Tisch, denn ein zu hoher Salzverzehr wird mit für hohen Blutdruck verantwortlich gemacht. Eine Untersuchung, die kürzlich an der Universität Leuven in Belgien veröffentlicht wurde, könnte jetzt alte Gewissheiten erschüttern.

An fast 3700 Erwachsenen, die zu Studienbeginn keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten, konnten die Forscher um Jan Staessen nachweisen, dass bei den Salzsparern in einem Zeitraum von durchschnittlich 7,9 Jahren die Sterblichkeit durch Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöht war. Diejenigen, die am wenigsten Kochsalz zu sich nahmen, hatten sogar das höchste Sterblichkeitsrisiko. Das widerspricht allen gängigen Annahmen, denn wenn Kochsalz den Blutdruck erhöht - was auch in dieser Studie geschehen ist - und ein erhöhter Blutdruck ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, müsste sich ein Salzverzicht in erniedrigten Sterblichkeitszahlen niederschlagen, nicht in erhöhten. Ist Salzsparen am Ende gar schädlich?

Der Internist und Nephrologe (Nierenfacharzt) Prof. Rolf Stahl, Direktor der Medizinischen Klinik III am Universitätsklinikum Eppendorf, sieht die Ergebnisse der belgischen Arbeitsgruppe kritisch: "Es sind nur etwa ein Drittel der Probanden im Untersuchungszeitraum an Herzinfarkt oder Schlaganfall gestorben, beim Rest ist die Todesursache nicht klar." Und auch Dr. Rainer Zahorsky vom Herzzentrum Hamburg, Asklepios-Klinik in Rissen, hegt Zweifel: "Es könnte sein, dass die Teilnehmer zu Beginn der Studie nur vermeintlich gesund waren, aber bereits Arterienverengungen hatten, die keine Symptome verursacht haben. Eine bis zu 70-prozentige Verengung macht noch keine Beschwerden."

Einen Fürsprecher haben die belgischen Forscher in Prof. Martin Reincke, Direktor der medizinischen Klinik der Universität München. Die Effekte eines niedrigen Salzkonsums auf zu hohen Blutdruck seien durchaus begrenzt und würden überschätzt. "Dass eine hohe Kochsalzzufuhr die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit erhöht, ist jedenfalls unbewiesen und gehört für mich zu den ärztlichen Ammenmärchen." Die erniedrigte Sterblichkeit bei hohem Salzverzehr in der Studie kann er sich aber auch nicht erklären. "Wir wissen noch nicht, was dahintersteckt. Salz reguliert das Körperwasser, da könnte der Flüssigkeitshaushalt beeinträchtigt sein."

Jenseits aller Diskussionen: Kochsalz ist lebenswichtig, denn es bindet Wasser. "Nur mit einem ausreichenden Salzgehalt im Blut können wir Wasser im Körper halten", so Stahl. "Deshalb haben wir auch eine eingebaute Notbremse gegen zu hohen Natriumverlust: Die Nierenkanälchen bekommen über ein höchst komplexes hormonelles Regulationssystem die Anweisung, Natrium zurückzuhalten - oder auszuscheiden." Im Gegensatz zu der üblichen Annahme, das erhöhte Blutvolumen durch zu viel Kochsalz sei die Ursache von Bluthochdruck, sagt Stahl: "Der eigentliche Blutdrucktreiber ist das Natrium in den Gefäßwänden. Dadurch spricht die Muskulatur besser auf gefäßverengende körpereigene Hormone und Botenstoffe wie zum Beispiel Stresshormone an."

Allerdings habe jeder Mensch seinen individuellen Salzspiegel. "Es gibt nämlich Menschen, die genetisch bedingt mehr Kochsalz zurückhalten als andere. Das ist schätzungsweise bei jedem zweiten Hochdruckpatienten der Fall." Das könnte Reincke zufolge auch ein Grund für die erstaunlichen Ergebnisse der belgischen Studie sein. Bei zu niedriger Kochsalzzufuhr könnte der Körper in eine auf Dauer gesundheitsschädigende Schieflage geraten. Dabei kann für den einen das bereits zu niedrig sein, was für den anderen ausreichend ist. "Jedes Extrem in beide Richtungen ist zu vermeiden", so Reincke.

Wie viel Salz ist in Ordnung? Können Menschen ohne Hochdruck so viel Salz essen, wie sie wollen? "Nein, das können sie nicht", so Stahl. "Für einen blutdruckgesunden Menschen sind sechs bis zehn Gramm pro Tag kein großes Problem. Darüber hinaus kann es vor allem für ältere Menschen zu viel werden, weil die Fähigkeit, Salz auszuscheiden, im Alter abnimmt." Der Salzstreuer gehört dann nicht auf den Tisch.

Ein natürlicher Gegenspieler von Natrium ist Kalium, das in allen pflanzlichen Lebensmitteln ausreichend vorhanden ist. "Kalium wirkt blutdrucksenkend", berichtet Stahl. Viel Obst und Gemüse können also manche kleine Salzsünde ausgleichen.

Der Spaß an besonderen Salzkreationen soll niemanden genommen werden. Allerdings sind auch Himalaya-Salz und Fleur de Sel lediglich Natriumchlorid, das standortbedingt noch Zusätze von weiteren Mineralien enthält, zum Beispiel Eisenverbindungen in rosa Himalaya-Salz. Einen gesundheitlichen Nutzen gegen Hochdruck kann man damit nicht erzielen - aber das muss ja auch nicht immer sein.