Die Zahl der Neuinfektionen geht weiter zurück. Aber die Angst vor Folgeerkrankungen wie Nierenversagen und Gehirnschäden wächst.

Hamburg. Die Welle der EHEC-Erkrankungen läuft langsam aus. In Hamburg und Schleswig-Holstein melden sich allerdings immer noch Infizierte bei den Ärzten und Krankenhäusern, doch die Zahl der Neuerkrankungen nimmt ab. In Hamburg wurden von Freitag bis Montag 52 neue Fälle von EHEC oder EHEC-Verdacht sowie 15 Fälle der gefährlichen Komplikation HUS gemeldet, teilte die Gesundheitsbehörde mit. Möglicherweise kommen noch einige wegen eines "gewissen Meldeverzugs" über Pfingsten hinzu. Zudem meldete die Behörde den Tod einer 66 Jahre alten Frau nach einer EHEC-Infektion mit nachfolgendem HUS am Sonntag. Damit erhöhte sich die Zahl der Toten in Hamburg auf sechs, bundesweit auf 36.

Hinzu kommt jetzt die Sorge der Mediziner um mögliche Folgeschäden. "Etwa 100 Patienten sind so stark nierengeschädigt, dass sie ein Spenderorgan brauchen oder lebenslang zur Dauerdialyse müssen", warnte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in "Bild am Sonntag". Mediziner sehen den Vorstoß kritisch. "Herr Lauterbach macht die Patienten mit dieser Prognose verrückt", sagt Prof. Friedrich Hagenmüller, Ärztlicher Direktor in der Asklepios-Klinik Altona. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte für einen derartigen Krankheitsverlauf.

Richtig sei, dass es bei einem Drittel der Patienten zu Komplikationen komme wie Nierenversagen oder neurologischen Störungen. "Langzeitprognosen über Folgeschäden können wir aber zu diesem Zeitpunkt nicht machen", sagt Hagenmüller. "Ich glaube nicht, dass Heerscharen von Dialysepatienten übrig bleiben werden." Auch der hannoversche Nierenspezialist Jan Kielstein lehnt Langzeitprognosen ab. "Über HUS bei Erwachsenen wissen wir wenig. Wir betreten hier Neuland."

Das betrifft auch die EHEC-Infizierten, die an neurologischen Störungen leiden. "Etwa die Hälfte aller Patienten mit HUS zeigt ernste neurologische Verläufe", sagt Daniel Wertheimer, Leitender Arzt des Zentrums für Neurologie und Neurorehabilitation in der Schön-Klinik in Eilbek. "Es kann zu Veränderungen der Hirndurchblutung, im schlimmsten Fall zum Schlaganfall kommen. Auch unabhängig davon können epileptische Anfälle und Hirnschwellungen auftreten."

Verantwortlich sei wahrscheinlich das Shiga-Toxin, welches von den EHEC-Erregern freigesetzt wird. "Dabei kommen die neurologischen Schäden relativ rasch. Sie können aber genauso plötzlich wieder verschwinden und erneut auftreten." Durch die rechtzeitige Hinzuziehung eines Neurologen könnten "mögliche Dauerschäden im Nervensystem" weitgehend verhindert werden.

Unterdessen macht die Suche nach der EHEC-Infektionsquelle Fortschritte: Experten analysierten, welche Sprossen die Mitarbeiter des Betriebs im niedersächsischen Bienenbüttel aßen, der als eine Quelle der EHEC-Welle identifiziert wurde. Das Bundesinstitut für Risikoforschung empfiehlt den Verbrauchern, auch auf selbstgezogene Sprossen zu verzichten. Und während rohe Sprossen auf deutschen Tellern vorerst tabu sind, atmen die Gemüsebauern auf. Auf dem Großmarkt waren Tomaten, Gurken und Salat am Sonnabendmorgen ausverkauft. "Nach wochenlangen Umsatzeinbußen von über 90 Prozent ist das ein erster Hoffnungsschimmer für die betroffenen Gemüsegärtner", sagt Landwirtschaftskammerpräsident Andreas Kröger. Jetzt müsse die Politik handeln und für Entschädigungszahlungen bei den Landwirten eintreten.

Heute Nachmittag wird sich Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) ein Bild von der Lage norddeutscher Gemüsebauern machen. Sie kommt auf den Reinbeker Hof von Gemüsegärtner Dirk Beckedorf. Was Beckedorf der Ministerin erzählen wird, ist eine traurige Geschichte. Der 45-Jährige steht am Rande des Ruins. Beckedorf baut hauptsächlich Ruccola an, eine Salatsorte, die nicht auf der Entschädigungsliste steht - und den die Verbraucher dennoch mieden. Dabei konnte der Erreger an keinem Salatblatt festgestellt werden. Bis gestern.

Gegen 17.34 Uhr meldet die Nachrichtenagentur dpa: "EHEC-Erreger auf bayerischem Salat entdeckt." Der Keim habe sich auf Lollo-Rosso-Salat eines Fürther Gemüseerzeugers befunden. Ob es sich dabei um den grassierenden Erregertyp handelt, wird jetzt untersucht.