Bei Arzneimitteln vermuten Eltern bei ihren Kindern viel zu schnell eine Unverträglichkeit

Hamburg. Allergien bei Kindern nehmen zwar zu. Aber nicht alles, was auf den ersten Blick wie eine Allergie aussieht, ist auch eine. Das gilt besonders für Allergien gegen Arzneimittel.

Wie große europäische Studien zeigen, wird der Begriff der Arzneimittelallergie viel zu schnell und zu häufig verwandt: "Bei Umfragen in Ambulanzen gaben Eltern von jedem zehnten Kind an, es sei allergisch gegen Arzneimittel. Bei genauerer Untersuchung stellte sich dann aber heraus, dass das nur bei jedem zehnten dieser Kinder wirklich der Fall war", sagt Privatdozent Dr. Hagen Ott, Kinderdermatologe am Kinderkrankenhaus Wilhelmstift und Spezialist für Arzneimittelreaktionen. Das könne gefährlich werden, wenn Kinder in akuten Erkrankungsfällen schnell Medikamente bräuchten und die Ärzte sie ihnen nicht geben können, weil nicht klar sei, ob die kleinen Patienten dagegen wirklich allergisch seien.

Häufig werde eine allergische Reaktion mit bekannten Nebenwirkungen eines Medikaments verwechselt, zum Beispiel Durchfall nach Antibiotika, oder mit den Symptomen einer Erkrankung. "Wenn das Kind einen Schnupfen hat und nach einer Antibiotikagabe einen Hautausschlag bekommt, dann gehen die Eltern davon aus, dass er mit dem Arzneimittel zusammenhängt. Dabei hat der Ausschlag in neun von zehn Fällen nichts mit dem Arzneimittel zu tun, sondern mit dem Infekt, den das Kind hat", sagt Ott.

Am häufigsten sind Allergien gegen Antibiotika, Epilepsiemedikamente und Schmerzmittel. Die allergischen Reaktionen zeigen sich auf zwei unterschiedliche Arten: den Soforttyp und den Spättyp. Beides kann im Extremfall gleichermaßen gefährlich werden.

Bei der Soforttypallergie treten innerhalb von 30 bis 60 Minuten nach Einnahme des Medikaments Symptome auf. Das reicht von einer leichten Quaddelbildung und Juckreiz über eine Schwellung des Gesichts bis zur Atemnot, Kreislaufproblemen und dem lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock. Die Arzneimittel-Anaphylaxie ist im Kindesalter selten. "Dieser Allergietyp ist seltener, aber aufgrund der typischen Symptome leichter einzuschätzen als der Spättyp", sagt Ott.

Beim Spättyp kommt es am häufigsten zu einem masern- oder scharlachartigen Hautausschlag, der typischerweise am fünften bis siebten Tag der Therapie auftritt. Der Hautaussschlag ist über den ganzen Körper verteilt und kann mit Juckreiz verbunden sein. Das ist eine harmlose Reaktion, aber man sollte trotzdem das Arzneimittel absetzen. "Außerdem sollten diese Patienten regelmäßig vom Arzt kontrolliert werden, der beurteilt, ob es sich wirklich um diese harmlose Form des Hautausschlages handelt oder ob es sich zu einer schweren Arzneimittelreaktion der Haut entwickelt", sagt Ott.

Dafür gibt es typische Warnsignale: "Immer dann, wenn eine Arzneimittelreaktion die Schleimhäute betrifft, sich Hautblasen bilden oder sich schießscheibenartige Strukturen auf der Haut zeigen, muss der Patient vom Arzt gesehen werden." Mit einer Häufigkeit von eins zu einer Million kann sich eine sehr gefährliche Arzneimittelreaktion entwickeln, bei der sich die gesamte Oberhaut ablösen kann und die im Kindesalter mit einer Sterberate von 25 Prozent verbunden ist. Die Patienten müssen in Spezialabteilungen behandelt werden, da neben der Haut auch die Schleimhäute und innere Organe massiv geschädigt werden können. In der Folge können betroffene Kinder erblinden und es können schwerwiegende Vernarbungen auftreten.

Auch wenn solche gefährlichen Situationen selten sind, wird die Arzneimittelallergie zunehmend wahrgenommen, obwohl sie nicht zunimmt wie Asthma oder Neurodermitis. Auch bei Kindern, die an diesen Erkrankungen leiden, müssen Eltern sich nicht übermäßig vor Arzneimitteln fürchten. "Diese Kinder haben nicht häufiger Arzneimittelallergien als andere. Das liegt daran, dass sich die entsprechenden Allergene grundsätzlich unterscheiden. Während zum Beispiel Birkenpollen als sehr große Allergene hauptsächlich aus Proteinen zusammengesetzt sind, handelt es sich bei Arzneimitteln um sogenannte kleinmolekulare, künstliche Substanzen, die in der Regel nicht aus Proteinen bestehen", sagt der Hamburger Haut- und Kinderarzt.

Die Folge der erhöhten Skepsis bezüglich Allergien: "Manche erwachsene Patienten kommen mit einem selbst geschriebenen Allergiepass ins Krankenhaus, in dem sich bis zu 15 Medikamente angesammelt haben, von denen dann keines oder nur sehr wenige wirklich eine Allergie hervorrufen", sagt Ott.

Wer schnell jedes Symptom ohne fachärztliche Abklärung als Allergie deutet, kann gefährliche Situationen heraufbeschwören, so Ott: "Es wird dann brenzlig, wenn Allergien gegen Basismedikamente wie zum Beispiel das Schmerzmittel Paracetamol oder aber gegen Antibiotika bestimmter Substanzklassen angegeben werden. Da sind wir dann gerade im Kindesalter auf wenige Wirkstoffgruppen beschränkt und haben nur noch sehr begrenzte Therapiemöglichkeiten."

Deswegen appelliert Ott an Eltern und Kinderärzte, potenzielle Allergien in der beschwerdefreien Phase von einem Allergologen abklären zu lassen. Zur Diagnostik wird zum einen ein Hauttest eingesetzt, der sogenannte Prick-Test. Dabei werden verschiedene Substanzen auf die Haut aufgebracht und dann geprüft, ob die Haut darauf mit Quaddelbildung reagiert. "Außerdem können wir im Blut die Botenstoffe, die für die Allergie zuständig sind, nachweisen", sagt Ott.

Wenn dadurch keine endgültige Klärung möglich ist, wird ein Provokationstest durchgeführt, bei dem das mögliche Allergen dem Kind in ansteigender Dosierung in halbstündigem Abstand verabreicht wird. Dabei wird es sorgfältig beobachtet und bei einer eventuell auftretenden allergischen Reaktion kann der Arzt schnell eingreifen. "Diesen Test machen wir allerdings nicht, wenn schwere Reaktionen zu erwarten sind", sagt Ott.

Am Ende der allergologischen Diagnostik steht immer ein Allergiepass. Ott: "Er darf nur vom Arzt ausgefüllt und muss immer mitgeführt werden. Aufsichtspersonen müssen über die Allergie informiert sein".