Forscher haben ein Molekül gefunden, das überschießende Immunreaktionen dämpft.

Bochum. Das Rätsel, warum Landkinder seltener an Allergien und allergischem Asthma erkranken als Stadtkinder, ist möglicherweise gelöst. Der schützende Faktor im Stallstaub ist ein Zuckermolekül namens Arabinogalaktan, das in großen Mengen in Futterpflanzen wie dem Wiesenfuchsschwanz vorkommt. Das haben jetzt Forscher der Ruhr-Universität Bochum zusammen mit Kollegen aus München und Borstel herausgefunden. Sie konnten in Tierexperimenten mit Mäusen nachweisen, dass Arabinogalaktan das Immunsystem an überschießenden Immunreaktionen hindert.

Wie bereits aus früheren Studien bekannt, ist der schützende Effekt besonders stark, wenn sich die Kinder bereits im ersten Lebensjahr regelmäßig im Stall aufhalten. Über ihre neuen Erkenntnisse berichten die Mediziner in der aktuellen Ausgabe des "Journal of Allergy and Clinical Immunology".

Auf das Molekül gestoßen sind die Wissenschaftler, als sie dem Phänomen nachgingen, dass Landkinder seltener Allergien entwickeln als Stadtkinder. "Die Suche nach der schützenden Substanz war wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen", sagte Dr. Marcus Peters von der Abteilung für experimentelle Pneumologie an der Ruhr-Universität Bochum. Peters ist einer der Studienleiter.

Bereits seit 2002 arbeiten die Wissenschaftler in einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft gemeinsam daran, nach Substanzen zu suchen, die diesen Zusammenhang erklären. 2005 begannen sie damit, Stallstaub zu analysieren, der in Stallungen von Bauernhöfen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gesammelt worden war - und wurden fündig. Sie stellten fest, dass der Staub zu zehn bis 15 Prozent das große Molekül Arabinogalaktan enthielt und stuften deshalb diese Substanz als "verdächtigen" Kandidaten ein.

Als die Forscher diesen Stoff isoliert hatten, prüften sie im nächsten Schritt, wie das Immunsystem von Mäusen auf mögliche Allergene reagiert, wenn gleichzeitig Arabinogalaktan-Moleküle anwesend sind. Dabei habe sich gezeigt, dass bestimmte Zellen des Immunsystems, die den Immunzellen schädliche Eindringlinge präsentieren, sodass diese dagegen vorgehen, in Anwesenheit der Substanz ihr Verhalten ändern. "Sie produzieren dann einen bestimmten Botenstoff, der die Immunreaktion dämpft", sagte Dr. Peters.

Was genau dabei in den Abwehrzellen passiert, muss noch näher untersucht werden. Aber Zuckerrezeptoren sind generell wichtig für die Erkennung von fremden Partikeln durch das Immunsystem. "Die Abschwächung der Immunreaktion auf diesem Wege ist uns nicht neu", sagte Peters. Er betonte aber auch, dass durch Arabinogalaktan lediglich die übersteigerte Wachsamkeit des Immunsystems verhindert wird, aber nicht die Abwehr von Krankheitserregern.

Die schützende Wirkung des Moleküls ist allerdings auch davon abhängig, in welchem Verhältnis der Anteil der Allergene in den Gräserpollen zum Gehalt an Arabinogalaktan steht. Die schützende Wirkung tritt erst dann ein, wenn die Konzentration an Arabinogalaktan den Anteil der Allergene überschreitet.

Für die Forscher ist die neue Erkenntnis ein wichtiger Schritt in eine neue Richtung. "Wir waren bisher immer davon ausgegangen, dass es sich um bakterielle Substanzen handelt, die eingeatmet werden und das Immunsystem so trainieren, dass es zwischen harmlosen Substanzen und gefährlichen Feinden unterscheiden kann", sagte Prof. Albrecht Bufe, Chef der Abteilung für experimentelle Pneumologie an der Ruhr-Universität Bochum, der ebenfalls die Studie mitgeleitet hat.

Die Wissenschaftler gehen auch jetzt noch davon aus, dass es nicht allein das Arabinogalaktan ist, das das Immunsystem auf den richtigen Weg bringt, sondern eine ganze Reihe von Substanzen. "Es sind im Wesentlichen harmlose Bakterien, die in großer Zahl in Ställen vorkommen, und weitere Bestandteile, die in Gräsern enthalten sind", sagte Bufe.

Diese Substanzen haben unterschiedliche Wirkungen auf das Immunsystem. "Das Arabinogalaktan bewirkt, dass die ersten Abwehrzellen in der Lunge gegenüber Fremdstoffen tolerant werden", sagte Bufe. Die Bestandteile von Bakterien führten hingegen eher zu einer Aktivierung des Immunsystems, sodass es in die richtige Richtung zur Abwehr von Infektionen gelenkt werde. Die Wissenschaftler wollen jetzt in ihren Studien den Stallstaub auf weitere schützende Substanzen untersuchen. "Denn wir glauben, dass die Kombination aus den unterschiedlichen Wirkmechanismen den Effekt ausmacht", sagte Bufe.

Außerdem soll in weiteren Studien geprüft werden, ob das Zuckermolekül Arabinogalaktan zur Vorbeugung und zur Behandlung von Allergien und von allergischem Asthma eingesetzt werden kann. Denkbar wäre beispielsweise eine Anwendung als Spray oder als Nasentropfen, da die Substanz gut wasserlöslich ist, so die Forscher.