Skandal um verunreinigte Infusionen löst Debatte um Krankenhaushygiene aus

Hamburg. Es wurde bereits in der 24. Schwangerschaftswoche geboren und war durch die extreme Frühgeburt sehr gefährdet - das Baby, das am Montagabend auf der Intensivstation der Mainzer Uniklinik starb, ist das dritte Opfer im Skandal um verunreinigte Infusionen an der Mainzer Universitätsklinik. Ob die Säuglinge tatsächlich an den Infektionen gestorben sind, ist aber immer noch unklar.

Anlässlich der Todesfälle fordern jetzt Experten bessere Hygienevorschriften für Krankenhäuser. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) kündigte gestern an, bei der nächsten Gesundheitsministerkonferenz gemeinsam mit den Länderministerien zusätzliche Regeln für eine bessere Hygiene zu erörtern. Eine bundesweite Verordnung verlangte die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene.

In der Mainzer Uniklinik konnten unterdessen die Keime in der verseuchten Flüssignahrung als "Enterobacter cloacae" und "Escherichia hermannii" identifiziert werden. "Diese Keime gehören zur Gruppe der Enterobakterien und können im Darm von Mensch und Tier auftreten, aber auch in der natürlichen Umgebung", sagt Dr. Arne Martensen, stellvertretender Abteilungsleiter für Hygiene am Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt. Im Darm sind sie in der Regel harmlos, aber wenn sie in die Blutbahn gelangen, können sie lebensbedrohliche Infektionen hervorrufen. Besonders gefährlich werden diese Erreger für geschwächte und kranke Menschen. Wie der Medizinische Vorstand des Mainzer Universitätsklinikums, Prof. Norbert Pfeiffer, gestern betonte, handelt es sich bei diesen Bakterien aber nicht um multiresistente Krankenhauskeime, die gegen viele Antibiotika unempfindlich sind.

Krankheitserreger sind ein großes Problem in deutschen Kliniken. Eine Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene: "Wir gehen von 500 000 bis einer Million Menschen aus, die sich pro Jahr im Krankenhaus eine Infektion zuziehen", sagt Vorstandsmitglied Dr. Klaus-Dieter Zastrow. "Die Zahl der Todesfälle dürfte zwischen 20 000 und 40 000 liegen." Im Durchschnitt infizierten sich vermutlich fünf Prozent aller Patienten. Für Hamburg würde das umgerechnet bedeuten: Von den rund 420 000 Patienten, die nach Angaben der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft 2009 in Hamburger Krankenhäusern behandelt wurden, hätten sich 21 000 mit Keimen infiziert. Gesicherte Zahlen gibt es allerdings nicht.

Für solche Infektionen sind viele Keime verantwortlich, aber vor allem drei Gruppen: Die größte Bedeutung unter den Krankenhauskeimen haben die Staphylokokken, insbesondere die, die gegen viele Antibiotika unempfindlich geworden sind, die sogenannten MRSA, (Methocillinresistenter Staphylokokkus aureus). Viele Menschen tragen Staphylokokken mit sich, vor allem im Nasenvorhof und im Rachen. Aber sie wissen es gar nicht, weil die Bakterien in der Regel gesunden Menschen nichts anhaben können. "Wenn sie dann von abwehrgeschwächten Patienten eingeatmet werden, können sie Lungenentzündungen hervorrufen", sagt Martensen. Außerdem kann eine Infektion mit Staphylokokken zu Blutvergiftungen und Wundinfektionen führen.

Ein zweiter gefürchteter Krankenhauskeim ist Escherichia Coli, ein Bakterium, das normalerweise im menschlichen Darm vorkommt. Diese Bakterien spielen eine große Rolle bei Harnwegsinfektionen, können aber ebenfalls zu Blutvergiftungen führen. Auch eine dritte Gruppe, die Enterokokken, können Wundinfektionen und Harnwegsinfekte auslösen.

"Wie gefährlich die Bakterien sind, hängt immer auch vom Allgemeinzustand des Patienten ab und davon, wo dieses Bakterium sich einnistet, ob es zum Beispiel in die Lunge oder in das Blut gelangt", sagt Martensen.

Grundsätzlich seien diese drei Krankenhauskeime durch mehrere Gruppen von Antibiotika behandelbar. Aber je resistenter sie werden, umso weniger Alternativen gibt es. "Denn welche Antibiotika infrage kommen, hängt nicht nur von der Empfindlichkeit der Bakterien ab, sondern auch davon, wie gut sie für den Patienten verträglich sind und in welchem Organ sich die Entzündung abspielt. Und mit zunehmender Resistenz wird der Werkzeugkasten des Arztes immer leerer, bis es keine Therapiemöglichkeit mehr gibt", sagt Martensen. "Übertragen werden diese Keime hauptsächlich von Mensch zu Mensch, entweder direkt über die Hände oder indirekt über Flächen und Türklinken", sagt Martensen. Deswegen ist die strikte Hygiene das oberste Gebot. Nach den bisherigen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes sind die Krankenhäuser zur Eigenkontrolle verpflichtet. "Das können die Kliniken nur durch Hygienefachpersonal sicherstellen, das Hygienekontrollen durchführt, Stichproben nimmt und Geräte kontrolliert", sagt der Hygieneexperte.

Zusätzlich gebe es Kontrollen durch die regional zuständigen Gesundheitsämter, die regelmäßige Begehungen in Kliniken durchführen. Eine zentrale Erfassung von Krankenhausinfektionen gibt es nicht. "Wenn in einer Einrichtung eine Infektion ausbricht, werden Gegenmaßnahmen in Absprache mit dem Gesundheitsamt ergriffen", sagt Martensen. Nach seinem Eindruck ist das Problembewusstsein für diese Infektionen in den Kliniken gewachsen. "Das merken wir daran, dass die Nachfrage nach Ausbildungen zu Hygienefachkräften zunimmt."

Stellung bezog auch Dr. Frank Ulrich Montgomery, Chef der Hamburger Ärztekammer: "Man kann nicht gleichzeitig sparen und die Hygiene verbessern. Wir fordern als Ärztekammer Hygienefachleute, die sich ständig auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand halten. Hier muss für eine vernünftige Finanzierung der Hygiene in Praxen und Kliniken gesorgt werden. Das ist wichtiger als Gesetze auf Bundesebene. Kein Gesetz macht Kliniken sauberer."