Privatdozent Dr. Alexander Friedrich (39) ist Facharzt für Mikrobiologie am Institut für Hygiene der Uni-Klinik Münster.

Hamburger Abendblatt:

1. Nach dem Tod der drei Säuglinge auf der Intensivstation der Mainzer Uni-Klinik gibt es Forderungen nach besserer Hygiene in deutschen Kliniken. Wie viele der Toten durch Klinikinfektionen könnten denn gerettet werden?

Alexander Friedrich:

Die genauen Umstände des Todes der Säuglinge sind noch nicht geklärt, die Ergebnisse müssen wir abwarten. Unabhängig davon sterben europaweit bis zu 40 000 Menschen im Jahr durch Klinikinfektionen. Durch bessere Hygiene könnten wir ein Drittel der Todesfälle sicher vermeiden.

2. Die Verbesserung der Hygiene in Kliniken ist seit Jahren ein Thema. Warum wird die Bedrohung dennoch immer größer?

Es hat sich leider nichts getan. 95 Prozent der deutschen Krankenhäuser haben keine hauptamtlichen Hygieniker. In den Niederlanden gibt es in jeder Klinik einen Arzt für Hygiene, der dafür sorgt, dass alle Richtlinien umgesetzt werden, und kontrolliert, dass nicht zu viele Antibiotika eingesetzt werden. Bei uns wird zwar viel über das Thema geredet und viel Papier produziert, aber es existiert niemand, der das, was auf dem Papier steht, auch durchsetzt.

3. Was hindert denn deutsche Kliniken daran, für bessere Hygiene zu sorgen?

Keine Klinik bekommt mehr Geld, wenn sie auf bessere Hygiene achtet. Im Gegenteil: Sie müsste das aus dem Topf für Diagnostik und Therapie bezahlen, also aus Bereichen, die ja die Einnahmen bringen. Ein Patient, der heute ein hygienisches Problem im Krankenhaus A bekommt, spürt das aber erst im Krankenhaus B in einem halben Jahr. Warum sollten die Krankenhäuser also Geld ausgeben, um den Konkurrenten etwas Gutes zu tun?

4. Gibt es denn überhaupt genug Hygienespezialisten in unserem Land?

Das müssen keine Experten für Hygiene sein. Wir könnten zum Beispiel andere Fachärzte einsetzen, die eine neue berufliche Perspektive suchen und sich dann fachlich weiterbilden müssten. Wichtig ist nur, dass jemand tagtäglich dafür sorgt, dass die Menschen keine Infektionen bekommen. Ein weiteres Problem: An jeder zweiten Uni-Klinik gibt es kein eigenes Hygiene-Institut mehr, deshalb fehlt es an Ausbildung, Forschung und Innovation.

5. Bundesgesundheitsminister Rösler will die Klinikhygiene bundesweit verbessern. Was würden Sie ihm raten?

Nicht noch mehr Gesetze und Verordnungen schaffen, sondern regeln, wo die finanziellen Mittel herkommen sollen. Die Hygieneprobleme kennen wir seit 20 Jahren. Aber die Ärzte vor Ort wissen nicht, wo sie die Ressourcen hernehmen sollen. In Belgien bekommen Kliniken zum Beispiel Geld dafür, dass sie alle Infektionen genau erfassen.