Mit einem “myoelektrischen Dynamic Arm“ kann die junge Frau wieder greifen und heben, was zwischen den Daumen und die Finger passt.

Hamburg. "Es ist das Glückshormon, wissen Sie, es sind diese Endorphine, die mir das Leben erträglich machen und mir Kraft geben." Julia Harder stützt den Ellenbogen auf den Tisch und fährt langsam mit gespreizten Fingern durch ihr kurzes, schwarzes Haar. "Wenn ich meine übliche Hausstrecke laufe, so etwa zehn Kilometer am Stück, schüttet der Körper diese Hormone aus, und ich fasse Mut für neue Herausforderungen."

Es gibt Tage im Leben, die man für immer vergessen, an die man nicht mehr erinnert werden möchte. Der 17. März 1999 war für die damals 18 Jahre alte Julia Harder so ein Tag. Abends lief sie ihre Hausstrecke in dem hinter Bergedorf gelegenen Örtchen Dassendorf. Ein Stück durch den Wald, ein Stück die Landstraße entlang und zurück. Gegen 19 Uhr passierte es auf der dunklen Landstraße. In voller Fahrt erfasste sie ein Pkw, warf sie hoch, der starr befestigte Seitenspiegel riss ihr etwa zwanzig Zentimeter unterhalb des Schultergelenks den linken Arm ab, der durch die Wucht der Kollision in das angrenzende Waldstück geschleudert wurde. Zudem war der linke Fuß schwer verletzt. Sie hatte das Bewusstsein verloren.

Ein Autofahrer hatte alles gesehen und hielt an, ein Feuerwehrmann, ausgebildet in Erster Hilfe. Er stillte die Blutungen und war wohl ihr Lebensretter. Andere Helfer fanden den Arm. Doch die Ärzte im Boberger Unfallkrankenhaus erkannten, dass der Arm nicht angenäht werden konnte. Im Mai 2000 wurde Julia Harder, 70 Prozent schwerbehindert, entlassen.

18 Jahre jung, kurz vor dem Abitur, mit nur einem Arm, da würden viele verzweifeln. Julia Harder ging wieder zur Schule. Aber im Dezember gab sie auf, die körperlichen und psychischen Belastungen waren zu groß: "Ich konnte nicht mehr." Eigentlich wurde ihr jetzt erst bewusst, wie es um sie stand. Doch sie gab nicht auf. Sie machte ein freiwilliges soziales Jahr in den Alsterdorfer Anstalten und lernte, ihr Auto mit einem Knauf am Steuerrad zu lenken. Ursprünglich wollte sie zur Polizei und bewarb sich dort auch. Abgewiesen. Dann wollte sie Logopädin werden. Wieder abgewiesen. Sie bezog 345 Euro Hartz IV und arbeitete nachts für 5 Euro die Stunde bei einem Not-Telefondienst einer Installationsfirma oder in einer Taxi-Zentrale. "Da kann man schon mal in eine depressive Stimmung geraten", sagt sie, "zumal Beziehungen in die Brüche gingen."

Dann riet ihr ein Reha-Berater im Arbeitsamt: "Machen Sie eine Ausbildung als Erzieherin, dann können sie nach drei Jahren in Lüneburg das Studium für ein Lehramt an einer Schule beginnen." Diesem Rat folgte sie. 2014 will sie als Lehrerin für Sozialpädagogik und Deutsch ihre Berufslaufbahn beginnen.

Dabei hilft ihr, dass sie dank einer Prothese beidarmig ist, seit wenigen Wochen mit einem zweiten, sehr komfortablen Modell, ein sogenannter myoelektrischer DynamicArm, entwickelt von dem bekannten Prothesen-Hersteller Otto Bock in Duderstadt, zusammengebaut in den orthopädischen Werkstätten der Firma Werber in Hamburg. Muskelreize werden vom Armstumpf auf Abnehmer im künstlichen Armschaft übertragen und elektrisch an die Bewegungsteile geleitet. Jetzt kann die junge Frau wieder greifen und heben, was zwischen den Daumen und die Finger passt. So kann sie mit der Prothese den Geldbeutel halten, mit der anderen Hand Münzen und Scheine herausholen. Insgesamt sind Bewegungen des Ellenbogens und Handgelenks sowie der Finger möglich - und dies mit hoher Präzision und Schnelligkeit. Die künstliche Hand wirkt neben der normalen unauffällig.

Und Julia läuft wieder Marathon, inzwischen schon 13-mal in Hamburg, Berlin und München. Daraus schöpft sie Lebenskraft. "Das soll allen, die in ähnlicher Lage sind wie ich, Kraft geben und sie vor Resignation und Mutlosigkeit bewahren", sagt sie.