Hamburg. Der Kalender kennt nur vier Jahreszeiten, aber der Garten ist da schlauer: Hier sind es insgesamt zehn.

Der Flieder blüht. Na und, wird jetzt vielleicht der eine oder andere sagen, sieht gut aus und duftet. Nicht nur. Wenn der Flieder blüht, ist Frühling – und zwar Vollfrühling. Unser Flieder ist keine besondere Sorte. Der war schon da, als wir die Mühle übernommen haben, vor gut 20 Jahren. „Wildflieder“, hatte die Nachbarin getippt. Syringa ­vulgaris. Könnte hinkommen. Denn er treibt ganz wild aus. Durch unterirdische Ausläufer, deren Ausbreitungsdrang ich durch Ausreißen einzudämmen versuche. Jedes Jahr. Mühsam.

Für den Gärtner ist Frühling nicht einfach dann, wenn er im Kalender steht, am 20. März. Ihn gibt’s gleich dreifach. Als Vorfrühling, wenn die Schneeglöckchen kommen, als Erstfrühling, wenn die Blausternchen blühen, und eben als ­Vollfrühling. Phänologischer Kalender heißt das. Zehn solcher Jahreszeiten gibt es insgesamt – statt der nur vier all­gemein bekannten im Kalender. Wie den Frühling, so gibt es in diesen Entwicklungserscheinungen auch den Sommer und den Herbst gleich dreifach – als Früh-, Hoch- und Spätsommer, als Früh-, Voll- und Spätherbst. Den Winter immerhin, den gibt es nur einfach. Winter ist eben Winter.

Unterschiede zwischen Stadt und Land

Jede Jahreszeit hat eine Pflanze, die sie anzeigt – weshalb diese auch „Zeigepflanzen“ heißen. Für Hamburg zeigten die Forsythien an der Lombardsbrücke den Vorfrühling an. In diesem Jahr war das am 4. April. Das meldete ein ­phänologischer Beobachter an den Deutschen Wetterdienst in Offenbach. Ungefähr 1300 solcher Beobachter sind in Deutschland für die Behörde ehrenamtlich tätig.

Dabei handelt es sich um Menschen, die nur gucken, was sich bei den Zeigepflanzen in ihrer Region tut. Für meine Frau Anke und mich begann der Vorfrühling vier Tage später. Im Wendland ist es immer ein, zwei Grad kälter als in Hamburg. Der Frühling wandert zwar von Süden nach Norden – in Freiburg zum Beispiel ist meist 14 Tage früher Frühling als bei uns an der Mühle –, aber es gibt auch Unterschiede zwischen Stadt und Land. Entsprechend später blüht die einzige Forsythie in unserem kleinen Mühlenpark.

Anke: Der Feind meiner geliebten Clogs

Dabei mag ich eigentlich keine Forsythien. Ich bin nämlich in einer Reihenhaussiedlung im Münsterland aufgewachsen. Da gab es Forsythien satt. Vor jedem Haus, und natürlich auch noch ­dahinter. Jedes Jahr eine Orgie in Gelb. Dabei ist die Forsythie für Bienen so wertvoll wie ein Laternenmast – wie etwa auch die Geranie im Balkonkasten. Sagen die Imker. Und die müssen es ja wissen.

Die Forsythie habe ich aber trotzdem angepflanzt. Sie ist eben auch eine Zeigepflanze für meinen gärtnerischen Kalender. Wenn sie blüht, weiß ich, dass es wieder Zeit ist, die Rosen zu schneiden – und die alten Holz-Clogs an den Hinterausgang zu stellen. Das Oberleder war mal weiß. Anke wollte mich schon vor Jahren zu Backdoorshoes überreden, wie im Gärtner-Englisch so schicke Clogs in modischen Dessins heißen. Die taugen natürlich nicht zur Arbeit. Wer fest auf den Spaten tritt, bricht sich eher den Mittelfuß, als dass ein Pflanzloch entsteht. Anke hat schon mal versucht, meine geliebten Clogs zu entsorgen. Ich habe sie wieder aus dem Müll gefischt. Anke stellt sie natürlich weg, wenn Besuch angekündigt ist.

„Ich gehe mal kurz raus“

„Ich gehe mal kurz raus“, sage ich morgens gerne zu meiner Frau. Dann schlüpfe ich in die hinten offenen Clogs und inspiziere den Garten. Gucke sozusagen den Pflanzen beim Wachsen zu. Wie sie sich entwickeln. Knipse auch mal hier was Verblühtes ab, reiße dort etwas Unkraut raus. Gefühlt dauert so ein Rundgang eine gute Viertelstunde. Tatsächlich war ich häufig eine Stunde unterwegs. Vielleicht auch mal zwei. Manchmal muss ich dann noch den Becher mit dem ersten Kaffee suchen, den ich mit auf den Rundgang genommen ­habe. Ich hab ihn irgendwo abgestellt – und vergessen.

Karl Günther Barth
Karl Günther Barth © HA | Klaus Bodig

Vielleicht, weil ich darüber nachgedacht habe, warum die Narzissen immer weniger werden. Hunderte habe ich gepflanzt in den vergangenen 20 Jahren. Ich habe nachgezählt: Schlappe 58 blühen in diesem Jahr. Keine gute Quote. Der Boden zu trocken? War ja Dürre im letzten Jahr. Zu viel Schatten? Ich weiß es einfach nicht. Ich habe gedüngt und beregne die kümmerlichen Horste. Passe stets auf, dass erst dann der Rasen gemäht wird, wenn die Blätter etwa Mitte Juni eingezogen sind. Damit die Pflanze bis dahin in ihren Zwiebeln genügend Vorrat an Nährstoffen für die nächste Saison sammeln kann. Ich habe immer Sorten gekauft, die sich „gut verwildern“, wie es in den Prospekten steht.

Bei Krokussen und Blausternchen hat das leidlich funktioniert. Nur nicht bei den Osterglocken, wie die Narzissen auch heißen. Ich habe dazu extra meinen Gärtnermeister des Vertrauens zur Besichtigung eingeladen. Der wusste auch nicht weiter. „Da steckt man nicht drin, in der Pflanze“, sagte er. Ganz trocken.

Ich hab da aber eine Idee. Osterglocken, ganz in Weiß. Sehr edel, sehr duftend. Mehr darüber demnächst. Gleiche Stelle, gleiche Welle.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth