Hamburg. Ein bekanntes Zitat von Helmut Kohl hat ein Mann im Wendland zum Geschäftsmodell gemacht – als Wurmfarmer.

Mein Freund Ulrich aus dem Flecken Splietau bei Dannenberg ist Lumbricidologe. Er kennt sich nicht nur bestens aus mit Regenwürmern, die wissenschaftlich Lumbricidae heißen. Er liebt sie geradezu, jene glitschigen Genossen aus dem Stamm der Ringelwürmer, von denen es in Deutschland 67, weltweit 670 Arten gibt. Nicht, weil man sie auch essen kann, im äußersten Notfall. Der bekannte Überlebenskünstler Rüdiger Nehberg behauptet sogar, dass sie gar nicht so schlecht schmecken. Wenn schon nicht für unsereins, dann sind Regenwürmer doch zum Beispiel für Maulwürfe, Igel, Amseln oder Kröten ein Schmaus, mit reichlich Eiweiß.

Aber deswegen ist mein Freund nicht Wurmfarmer geworden. Er will ­seine Würmer nicht verfüttern – schon gar nicht an Wildschweine, die seine ­ersten Würmer, selbst gesammelt und noch im hauseigenen Misthaufen angesiedelt, schnöde gefressen – und so seine erste Wurm-Kompostanlage zerstört haben. Damals, vor 20 Jahren, hatte der gelernte Elektrotechniker mit ersten Experimenten begonnen, mithilfe von Eisenia foetida, dem Kompostwurm aus dem Stamm der Anneliden (Ringelwürmer), hochwertigen Humus zu produzieren.

Der Lumbricidologe aus dem Wendland, wo auch unser kleiner Mühlenpark liegt, nutzt dabei eine Fähigkeit von Regenwürmern aus, die ihnen von Natur aus gegeben ist. Ihr länglicher Körper besteht aus Muskeln und Haut, sie haben zwar Nerven, aber kein Gehirn, keine Augen, keine Ohren. Am vorderen Ende ist der Mund, mit dem er sich durch den Boden frisst und dabei alles verschlingt, was ihm vors Maul kommt – Erde, verfaulende Blätter, Wurzelreste und winzige Tierkadaver. Am Ende scheidet er alles wieder aus – eine feine krümelige Erde, deren Häufchen auch der Spaziergänger kennt.

Hochwertiger organischer Dünger

Auf 0,405 Hektar, haben mal Forscher ausgerechnet, bewegt der Regenwurm im Laufe seines Lebens (drei bis neun Jahre) mehr als zehn Tonnen Erde durch seinen Körper. Mal knapp unter der Grasnarbe, mal in bis zu zwei Meter Tiefe, in die sich die Würmer bei Frost oder Trockenheit verziehen. Er lockert und lüftet den Boden, schafft Platz für Wurzeln. Das, was bei ihm hinten rauskommt, ist hochwertiger organischer Dünger, reich an Kern-Nährstoffen wie Stickstoff (N), Phosphat (P) und Kalium (K), die auch im industriell hergestellten Blaukorn enthalten sind, das wir aus den Baumärkten kennen. Beim Regenwurm ist alles bio – auch Mineralien, nützliche Bakterien, Mikroorganismen und sogenannte Vitalstoffe, die aus Wurm-Kot Gärtnergold machen.

Dass Würmer so wertvoll sind, haben erst Wissenschaftler in der Neuzeit wie Charles Darwin (1809–1882) erkannt. Der fand nicht nur heraus, dass der Mensch vom Affen abstammt, sondern begründete kurz vor seinem Tod noch mit der Studie „Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer“ den guten Ruf der Allesfresser als wertvolle Nützlinge.

Bis dahin galten Regenwürmer noch als Schädlinge, die Wurzeln von Gemüse abknabbern. 1938 erschien in Hannover „Unsere Regenwürmer, Lexikon für Freunde der Bodenbiologie“ von Otto Graf – sozusagen dem deutschen Nestor der modernen Lumbricidologie. „Max, der Regenwurm“ hat es sogar als Comic-Figur zum schüchternen Sympathieträger in die TV-Serie „Biene Maja“ gebracht.

Zu zweit macht es mehr Spaß

Bei meinem Freund Ulrich leben und produzieren auf acht Quadratmetern in zwei großen Kisten 200.000 bis 500.000 Kompostwürmer. Mit etwa sechs bis 13 Zentimeter Länge sind sie Winzlinge im Vergleich zum Panda unter den Würmern, dem Megascolides in Australien. Ein fingerdicker Riese, bis zu drei Meter lang – eine echte Touristenattraktion mit jährlichem Festival.

Karl Günther Barth
Karl Günther Barth © HA | Klaus Bodig

Seit diesem Winter ist nach fast 20-jähriger Tüftelei die Wurm-Kompost-Produktion (www.wendlandwurm.de) meines Freundes Ulrich sozusagen serienreif, geprüft von anerkannten Laboren. Oben in die Kisten kommt das Futter, Bio-Kompost aus der Anlage im nahen Rosche – garantiert unkrautfrei. Feinstes Filet sozusagen.

Für Würmer, die nix zu tun haben außer fressen, verdauen und, na ja, sich vermehren – bei angenehmen 22 Grad Dauertemperatur. Als Zwitter bräuchten sie eigentlich keinen Sex-Partner. Aber zu zweit, das weiß man ja, macht es mehr Spaß. Für die, die in der Schule nur die Staubfäden von Tulpen gezählt haben, geht das bei den Würmern im Prinzip so: Sie umklammern sich und stopfen sich dabei gegenseitig Eier in die Bruttaschen.

Verdautes rieselt unten aus Ulrichs Wurmkästen als feines, schwarzes Mehl, nahezu geruchlos heraus. Abgefüllt in Zwei-Liter-Päckchen, vertreibt er seinen Drei-Sterne-Kompost zunächst über Bioläden im Wendland – oder später am Wochenende aus der Scheune. Seinen Wurm-Humus versteht Ulrich Hartmann auch als Beitrag gegen Glyphosat und Co. Von Bekannten weiß meine Frau Anke, dass Wurm-Humus auch drinnen hilft – etwa müden Gummibäumen wieder auf die Beine.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth