Hamburg. Wie ein Züchter auf einer herbstlichen Zugfahrt eine Chrysantheme entdeckte – und was sie mit den Kaisern von China zu tun hat.

Gärtnern ist immer auch ein Stück Leidenschaft. Da passieren die verrücktesten Sachen. Nehmen wir mal Karl Förster (1874–1970). Als der Sohn des Direktors der Berliner Sternwarte 1910 durch die Schweiz reiste, war er noch nicht der große Staudenzüchter und Gartengestalter. Er war gerade dabei, in Bornim bei Potsdam 5000 Quadratmeter Ackerland zu der später berühmten Gartenanlage zu machen. Der Zug zuckelte durch ein Alpental, als er in einem Garten eine Staude mit leuchtend rosa Blüten sah. Im Herbst. Um diese Zeit. Er zog die Notbremse. Die Legende verschweigt, wie die Causa juristisch ausging. Man weiß aber, dass er die sogenannte Winteraster aus dem Schweizer Bauerngarten in Bornim anpflanzte und später „Nebelrose“ taufte – weil sie noch bis weit in den November blühte.

„Nebelrose“ war natürlich keine Aster, sie hieß nur so, im Volksmund. Weil die Blüten sich so ähnelten. Tatsächlich war die Staude eine Chrysantheme – und die gab es noch nicht lange in Europa. Erst 1862 kam sie zu uns, als Exot aus Fernost, mit einer Kulturgeschichte von mehr als 2000 Jahren.

Die Blume der Kaiser

In China und Japan war die Chrysantheme die Blume der Kaiser. Sie war und ist das Symbol der Stärke. Denn sie beginnt zu blühen, wenn die Tage kürzer werden und der Winter vor der Tür steht. Noch heute, berichtet Marianne Beuchert in dem Buch „Die Gärten Chinas“, werden in der Volksrepublik Chrysanthemen-Feste gefeiert, auf denen Gärtner ihre neuen Züchtungen zeigen. Je ausgefallener die Blüten, desto entzückter das Publikum.

So waren es auch nicht die Wildformen, die nach Europa kamen, sondern Pflanzen mit pompös gefüllten Blüten. Hochempfindlich, nicht winterhart in unseren Breiten. Etwas für botanische Gärten, vor dem ersten Frost mussten die Pflanzen ausgegraben oder im Topf ins Warme gebracht werden. Deswegen schaffte die Chrysantheme auch lange nicht den Einzug in unsere Gärten.

Sehr paarungswillig

Doch die Pflanze aus dem Fernen Osten ist offenbar sehr paarungswillig, kreuzt sich wohl gern mit anderen. Försters „Nebelrose“, die Entdeckung aus dem Schweizer Bauerngarten, ist ein Zufallssämling – wie die wuchskräftige „Poesie“ mit offener weißer Blüte, die um 1930 in einem rumänischen Bauerngarten entdeckt und bei uns weitergezüchtet wurde. Natürlich machten sich auch bald Züchter in England, dem Mutterland des europäischen Gartenwesens, über die Chrysantheme her – was nicht gerade bei uns winterfeste Sorten, sondern eher kunstvolle Blüten brachte.

Mehr Frosthärte versprachen sich Staudengärtner von einer Kreuzung mit der Grönland-Margerite – was ja, nomen est omen, vielversprechend klingt.

Image als Grabschmuck

Was wohl auch eine weite Verbreitung in unseren Gärten verhinderte, war das Image als Grabschmuck. Als ich meiner Frau Anke von meiner Überlegung erzählte, im nächsten Frühjahr Herbstastern in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland ansiedeln zu wollen, fragte sie gleich zurück: „Sind das nicht Friedhofsblumen?“

Ein Besuch bei einer Gartenfreundin im Wendland hat sie dann überzeugt. Allerdings soll es bei uns dann doch nicht die bis zu 90 Zentimeter große, weiß blühende „Poesie“ sein, die bei Staudensichtungen Bestnoten abgeräumt hat. Dabei werden Pflanzen an verschiedenen Standorten in Deutschland unter unterschiedlichen Bedingungen getestet, ehe die Experten ihr Urteil abgeben.

Karl Günther Barth
Karl Günther Barth © HA | Klaus Bodig

Nun also mehr Farbe – die „Nebelrose“, hellrosa und nicht ganz so hochwachsend. Ich werde dem Rat der Gartenfreundin folgen und einen sonnigen, etwas geschützten Platz für die Neuen auswählen. Frühjahrspflanzung im April ist ganz wichtig, damit die Pflanzen bis zum Herbst gut einwurzeln können. In den ersten Jahren ist trotzdem etwas Winterschutz ratsam. Dazu schneidet man die Blütenstängel bis zum ersten Blattgrün ab und streut etwas Laub zwischen die Reststängel. Nicht ganz mit Blättern abdecken. Das könnte zu Fäulnis führen. Ein Fichtenzweig tut es auch. Erst im März werden die Stängel dann eine gute Handbreit über dem Boden abgeschnitten. Chrysanthemen lieben durchlässige Böden. Staunässe bekommt ihnen nicht. Das gilt auch für andere Sorten wie zum Beispiel „Anastasia“, „Havelschwan“ oder „Rumpelstilzchen“.

Die Gartenindustrie liefert mittlerweile blühende Chrysanthemen zu jeder Jahreszeit. Die stammen aus Pflanzenfabriken, wo den Blumen unter Glas jede Jahreszeit und jede Temperatur vorgegaukelt wird. Im Spätsommer werden runde Chrysanthemen-Büsche angeboten, auch mehrfarbig. Sehr empfindlich. Im Prinzip nur Blumensträuße, die im Kübel ein paar Monate halten. Sie überwintern nicht einmal im Wintergarten.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth