Aber es gibt im Wendland auch Rückkehrer wie den Biobäcker Rasche. Der backt sogar Brote aus Lichtkornroggen, einer uralten Getreideart, die ebenfalls wieder hier ist.

Mein Nachbar ist ein erfolgreicher Landwirt. Das gibt es wirklich. Ich nenne ihn gern meinen Großagrarier, weil er etwa 1200 Hektar bewirtschaftet. Eigenes Land, aber auch gepachtetes. Sein ältester Sohn ist Entwicklungsingenieur bei VW in Wolfsburg, sein jüngster hoch qualifizierter Techniker bei der Telekom in Hamburg. Der mittlere Sohn übernimmt gerade den Betrieb. Allerdings wohnt er nicht in unserem Dorf, sondern im Nachbarkreis Uelzen. Aus Liebe zur Mutter seiner beiden Söhne. Denn die ist auch studierte Landwirtin, die ihren von den Eltern ererbten Hof bewirtschaftet.

Als meine Frau Anke und ich das Projekt Mini-Mühlenpark im Wendland vor fast 20 Jahren starteten, gab es fünf Bauernhöfe und 34 Menschen. Wobei wir nur halb dazuzählen, weil wir noch eine Stadtwohnung haben. Jetzt gibt es noch drei landwirtschaftliche Betriebe, 21 Menschen leben in dem Weiler. Die anderen sind entweder gestorben oder weggezogen. Vier neue sind dazugekommen, darunter ein junger Fotograf mit seiner Frau, einer Sozialarbeiterin.

Ehemaligen Ausgabe vom Abendblatt. KGB Karl Günther Barth Mitarbeiter
Ehemaligen Ausgabe vom Abendblatt. KGB Karl Günther Barth Mitarbeiter © HA | Klaus Bodig

Landflucht statt Landlust? Glaubt man den Bevölkerungsprognosen, sieht es schlecht aus für den Landkreis Lüchow-Dannenberg mit seinen derzeit knapp 50.000 Einwohnern. 2035 könnten es danach 20 Prozent weniger sein. Derzeit verlassen Jahr für Jahr 200 junge Menschen zwischen 18 und 25 den Landkreis für Studium oder Ausbildung, lediglich 100 um die 30 Jahre kehren zurück. Mit Förderprogrammen kämpfen Land und Gemeinden um Umkehrung dieses Trends. Und mit Werbekampagnen. Mal eher konventionell, mal witzig und ironisch.

Fährt etwa ein Traktor mit Gülle durchs Bild eines Filmes der Berliner Filmemacherin Antonia Traulsen, heißt es ironisch „Shitstorm welcome“. In einem Video sind gewitzte 70-Jährige heimlich beim Kuppelportal „Tinder“. Traulsen, die mit ihrer Familie vom hippen Berlin ins kantige Wendland gezogen ist, will mit „Voll alt“ den Altersdurchschnitt auf die Schippe nehmen. Wenn sie sagt, der Handyempfang sei einfach furchtbar, ist das nicht nur ironisch. Wenn ich meinen „Brief aus der Mühle“ ans Abendblatt senden will, komme ich zuweilen nur schwer ins Netz. Manchmal muss ich mit dem Laptop aus der Mühle aufs freie Feld. Das ist, im Winter bei Schnee und Eis, etwas mühsam.

Jochen Rasche ist schon länger zurück im Wendland – nach Lehrjahren in Berlin und der Schweiz als Bäcker und Kaufmann. Die Vollkornbäckerei Rasche in Zernien, einer Gemeinde zwischen Dannenberg und Lüchow, wurde schon vor einigen Jahren als „eine der besten Biobäckereien Deutschlands“ vom Magazin „Feinschmecker“ geadelt. Ältere Nachbarn wissen noch, wie der 1939 gegründete Familienbetrieb früher aussah – ein bisschen wie ein Tante-Emma-Laden. Lottoscheine konnte man hier auch abgeben und im Schankraum nebenan ein frisch gezapftes Bier trinken.

Als Jochen Rasche um die Jahrtausendwende mit seiner Frau Bettina, einer gelernten Bankkauffrau, wegen der Kinder wieder ins Wendland zog, war der Laden nach dem Tod seines Vaters als reine Verkaufsstelle an eine andere Bäckerei verpachtet. Jochen und Bettina (heute beide 51) starteten mit etwas, das man heute wohl Catering nennt. Sie verkauften vom Wagen belegte Brötchen an Fabriktoren und vor Schulen. Hinten, in der alten Backstube, buk er anfangs die berühmten kleinen Brötchen, dann Brote – und alles „bio“.

Die Rasches lieferten zunächst an Hof- und Bioläden der Region, verkaufen bis heute nicht nur Klassiker wie den „Wendenlaib“, sondern auch Dinkelbrote und -brötchen mit Süßlupine auf den Wochenmärkten von Uelzen und Bad Bevensen. 30 Brot- und 20 Brötchensorten sind im Sortiment. Der „Landmann“, ein Roggenbrot, war lange meine Nummer eins, bis Anke erstmals ein „Lichtkornroggen“ mit in die Mühle brachte. Das ist ein Kastenbrot aus dem etwas helleren Mehl einer alten Roggensorte. Die gab es bis etwa 1850 auch im Wendland. Die Getreidezüchtungsstelle Darzau im Kreis Lüneburg hat sie zurückgezüchtet. Sie ist ideal für die sandigen Böden der Biobauern im Wendland. Das Brot daraus bleibt bei Jochen Rasche erstaunlich lange frisch.

Sein Laden ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Hier treffe ich Hamburger Staranwälte, die sich nach einer Golf-Runde im nahen Club mit Brot und Brötchen eindecken. Oder einen bekannten TV-Adelsexperten mit Domizil in einem Nachbardorf. 21 fest angestellte Mitarbeiter hat die Vollkornbäckerei mittlerweile, darunter acht Bäcker. Die kommen auch nicht mehr alle aus der Region – der Biobäcker von Zernien ist längst so etwas wie ein Musterbetrieb in einer strukturschwachen Region.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth