Dieser Kinderreim aus alten Tagen verewigt eine Baumart, die nicht hoch angesehen ist. Dabei hat sie durchaus ihre Vorzüge wie schnelles Wachstum

Das ist echt blöd. Wenn es im Mai mal richtig heiß wird, bleiben bei uns die Fenster zu. Kühlender Durchzug? Fehlanzeige. Meine Frau Anke, sonst ein Frischluftfan, kann den „Maischnee“, wie sie den Flug der Pappelsamen nennt, einfach nicht ausstehen. Da könne man nicht gegenanputzen, meint sie. Wo sie recht hat, hat sie recht. Wobei sie ansonsten die Zitterpappeln, von denen der massenhafte weiße Flaum stammt, durchaus liebt. Schon der leiseste Windhauch reicht aus, im Sommer ihr zartes Laub zittern und rauschen zu lassen.

Ich mag das auch. Obwohl ich Populus tremula ansonsten gern mal verfluche. Jedes Jahr muss ich unzählige Ausläufer mühsam rausreißen. Es reicht nicht, sie einfach mit dem Rasenmäher abzusäbeln oder mit der Schere abzuschneiden. Da schlagen sie gleich wieder aus. Anfangs wuchsen die auf unserem Mühlengrundstück im Wendland praktisch überall. Bis auf die zwei größten Exemplare wurden sie alle gerodet. Denn richtige Bäume gab es auf dem fast 7000 Quadratmeter großen Areal nicht – bis auf einige alte Eichen, Birken und Lärchen. Angepflanzt hatte die Zitterpappeln niemand. Keiner weiß, woher sie kamen. Der Samen, den der wollige Flaum transportiert, kann bei günstigen Winden und entsprechender Thermik bis zu 50 Kilometer weit fliegen, haben Botaniker herausgefunden.

Aber ich beschwere mich nicht. Ist halt Natur. Pappelschnee im Mai gehört dazu wie Laub im Herbst – oder streng riechendes Pipi nach dem Verzehr von Spargel. Der weiße Flaum der weiblichen Pappeln transportiert keine Pollen, kann Daunen in Kissen ersetzen und ist sogar für Allergiker unbedenklich. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft zu 100 Prozent. Was nicht ausschließt, dass er doch irgendwann bei irgendwem eine Allergie hervorruft. Also sagen wir lieber zu 99 Prozent. Das klingt nicht so unfehlbar. Ich glaube, Martin Schulz hätte im Nachhinein bei seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden auch lieber keine 100 Prozent bekommen. Unfehlbar war er nie – und nach drei SPD-Wahlschlappen in Saarbrücken, Kiel und Düsseldorf käme auch bei seinen größten Fans niemand mehr auf diese Idee.

Ich kann andererseits verstehen, warum die Pappeln oft als schwarze Schafe unter den ansonsten viel gelobten heimischen Laubbäumen angesehen werden: weil sie kaum älter als 100 Jahre werden und nicht als sehr windfest gelten. Wegen der Ausläufer, einer echten Gärtnerplage, kam auch die Silberpappel nicht infrage bei den Planungen für unseren kleinen Mühlenpark. Aber ich war damals noch ein ungeduldiger Gärtner. Die „Robusta“, eine Zuchtform der Kanadischen Pappel, stand sogar eine Zeit lang auf meinem Einkaufszettel – mit einem jährlichen Zuwachs von fast zwei Metern eine Art Weltmeister im Wachsen. In Skandinavien wird sie auf Plantagen angepflanzt, ihre kräftig nachwachsenden Triebe werden alle paar Jahre maschinell geerntet – etwa für die Herstellung von Pellets für die Holzheizung. Aber Anke und ich haben uns dann mit Populus nigra „Italica“ für eine bei uns längst heimische Pappel entschieden.

Mit der schnell wachsenden und schlanken Pyramidensorte, die wegen ihrer Herkunft aus Oberitalien auch Lombardische Pappel genannt wurde, bepflanzte schon Friedrich der Große (1712–1786) preußische Landstraßen. Vielleicht, weil er damit einen Hauch von Toskana in sein Stammland Brandenburg bringen wollte, das gern als eine Art Streusandbüchse des deutschen Reiches verspottet wurde?

Franzosen-Kaiser Napoleon (1769–1821) machte die Heerstraßen seines Reiches zu Pappel-Alleen, damit seine Soldaten sommertags immer im Schatten marschieren konnten. Am Niederrhein sind heute noch solche Alleen landschaftstypisch. Den weltberühmten Filzkünstler Joseph Beuys aus Düsseldorf inspirierten sie in jungen Jahren zu wunderbaren Bleistiftzeichnungen.

Anke und ich haben zwei Dreiergruppen der schlanken Lombardei-Pappel gepflanzt. Sie stehen am Ende einer Sichtachse, die in die Felder hinter unserem kleinen Mühlenpark mündet. Ein Hauch von Toskana für Arme? Nicht wirklich. Die echten Toskana-Zypressen sind nicht winterhart genug. Stattdessen gibt es bei uns auch noch Säulenformen von Eiche und Buche, Eibe, Wacholder und Kirsche. Mit fast 20 Meter Höhe sind die Pappeln allerdings mehr als doppelt so hoch wie diese. Und obwohl sie wie alle Pappeln in dem Ruf stehen, nicht besonders windfest zu sein, haben sie bisher sogar orkanartigen Stürmen widerstanden.

Neulich ist mir ein Wanderlied meiner Jugend wieder eingefallen: „Links ’ne Pappel, rechts ’ne Pappel, in der Mitte ’n Pferdeappel.“

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth