Flächen dieser uralten, aus Grünalgen entstandenen Pflanzen schmücken nicht nur den Garten, sie sind auch wertvolle Biotope und reinigen die Luft

Meine Schwiegermutter Ingrid ist eine wunderbare Frau. Sie gibt zum Beispiel ihrer Tochter nicht immer recht – und teilt meine Begeisterung fürs Gärtnern. Wenn sie uns in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland besucht, hilft sie gern „ein bisschen im Garten“. In der Stadt hat sie nur ihre Balkonkästen.

Ich glaube, unser Garten ist ihr nicht ordentlich genug. Stundenlang zupft sie Unkraut – jedenfalls das, was sie dafür hält. Im letzten Herbst hat sie vier Löwen, welche den Ein- und Ausgang eines Rondells aus einer Ligusterhecke bewachen, vom Moos befreit. Das sind natürlich keine antiken Figuren, sondern Nachbildungen aus Gussbeton. Über Jahre hatte ich versucht, Moos auf ihnen anzusiedeln. Für einen Hauch von Patina. Ich hatte sie mit Joghurt, Buttermilch und sogar Bier bestrichen – Rezepte, die ich aus englischen Gartenbüchern hatte. Nix passierte. Als ich es dann aufgegeben hatte, bildeten sich die ersten Flechten auf den Löwen, zwei hatten sogar so etwas wie eine Mähne aus Moos.

Autor Karl Günther Barth
Autor Karl Günther Barth © HA | Klaus Bodig

War es der Sparrige Runzelbruder (Rhytidiadelphus squarrosus) oder das Krückenförmige Kurzbüchsenmoos (Brachythecium rutabulum), die nach Ansicht von Jan-Peter Frahm (1945–2014) bei uns sehr verbreitete Moosarten sind und gemeinhin die Liebhaber von englischen Rasen so ärgern wie frische Maulwurfshügel am Tag eines offenen Gartens den Inhaber desselben? Keine Ahnung. Professor Frahm, ein gebürtiger Hamburger, hätte das sofort gewusst. Wenn Hellmuth Karasek der Literatur-Papst war, dann war Frahm der für die Welt der Moose.

Einige der vielleicht 20.000 Arten sind nach ihm benannt. Der Bryologe, so heißen Vertreter dieser Spezies der Botanik, hat auch maßgeblich bei der Entwicklung von Moosmatten mitgewirkt. Sie sollen jetzt in Städten wie Kopenhagen und Stuttgart aufgestellt werden, weil sie CO2 und Feinstaub quasi aufsaugen und Stickstoff, also Pflanzendünger, umwandeln.

Ob es im geheimen Plan von Schöpfung und Evolution bedacht war, als vor etwa 500 Millionen Jahren die von Algen abstammenden Moose an Land gingen und noch vor den Farnen die Welt eroberten, dass sie mal als eine Art biologische Wunderwaffe gegen die Abgase von Dieselmotoren gelten würden?

Ein Problem mit Feinstaub haben wir in unserem Mini-Mühlenpark nicht – so viel fällt bei der Bestellung und Ernte durch die Traktoren der Bauern nicht ab. Feinen Staub haben wir nur zur Erntezeit oder wenn die Bauern mit ihren Treckern im Sommer den staubigen Sandweg an der Mühle passieren. Doch unsere Nachbarn sind nette Leute und drosseln das Tempo, um nicht zu viel Staub aufzuwirbeln. Im Zweifelsfall haben ihre Frauen sie dazu verdonnert: „Denkt dran, Anke könnte Wäsche auf der Leine haben.“

Anke findet, wie ich, Moos romantisch. Vor allem, wenn es auf den dicken Feldsteinen in schattigen Bereichen wächst. Oder auf den alten Bahnschwellen, mit denen wir einige Beete umsäumt haben. In schattigen Bereichen sind sie ganz von Moos überwachsen. Es handelt sich wohl um das Goldene Frauenhaarmoos (Polytrichum commune). Ich weiß das von dem Förster, der mir erlaubt hatte, etwas von den Urwelt-Pflanzen von morschen Baumstämmen im nahen Göhrde-Forst zu kratzen und in Rissen der Schwellen anzusiedeln. Diese Moosart ist in unseren Wäldern am meisten verbreitet. Sie bildet Polster und kann bis zu 40 Zentimeter hoch werden.

So hoch wird das Moos auf dem Dach der Remise nicht. Auf der Nordwestseite und zusätzlich von Eichen und einer Kastanie beschattet bedeckt es mittlerweile die ganze Dachpappe. Ich fand, das sah ausgesprochen gut aus – bis Anke fragte: „Greift das die Dachpappe an?“ Zur Sicherheit fragte ich den Dachdecker. „Andere geben für eine Dachbegrünung Geld aus. Moos isoliert“, beruhigte er mich. Man müsse nur häufiger die Dachrinnen säubern. Besonders nach dem Frühjahr. Dann tummeln sich dort Amseln und Drosseln, picken nach Asseln, Spinnen oder Larven verschiedener Insekten, die in dem Biotop leben. Da säubere ich die Regenrinne gern einmal extra. Seitdem offenbar die gleiche Moosart auch die Fugen des gepflasterten Weges von der Remise zur Mühle erobert hat, wächst darin auch kein Gras mehr. Jetzt muss ich nur noch meiner Schwiegermutter Bescheid sagen, dass sie dort nicht „sauber“ macht.

In längeren Trockenperioden wird das Moos manchmal braun. Die Pflanzen sind aber nur scheintot, beim ersten Regen werden sie wieder frisch und grün. Das Moos auf den Köpfen der Löwen kommt auch wieder. Meine Schwiegermutter hat es nur abgezupft. Kleine Reste sind wohl geblieben und Moose Überlebenskünstler.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth