Was weiß man über diese Pflanze, außer dass sich durch sie die Elbvertiefung verzögert? Tipp, auch für den Senat: Fragt mal den Botanischen Verein

Es gibt Pflanzen, die haben einen zweifelhaften Ruf. Der Eisenhut in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland zum Beispiel. Der blaue Aconitum napellus blüht im Juni und Juli, einen Monat länger der gelbe Pyrenäen-Eisenhut. Wunderschön, aber giftig. Als ich meiner Frau Anke den ersten Eisenhut zeigte und erzählte, wie mit seinem Gift Kaiser und Päpste gemeuchelt worden waren, wich sie einen Schritt zurück – als ob man sich schon durch bloßes Angucken vergiften könnte.

Wir hatten bei uns auch mal den Gefleckten Schierling. Der griechische Groß-Philosoph Sokrates (469–399 v. Chr.) war wegen seines angeblich verderblichen Einflusses auf die Jugend zum Tod durch den Schierlingsbecher verurteilt worden. Das war im antiken Athen eine gängige Hinrichtungsart wie heute noch die Giftspritze in den USA – und wohl auch genauso qualvoll.

Drei, vier Jahre ging es dem Doldengewächs in unserem Park richtig gut – was keiner großen Kunst bedarf. In Europa wächst es ohne gärtnerisches Zutun an Wegen und Hecken, sogar auf Schuttplätzen, und wird bis zu zwei Meter hoch. Wer Kinder hat, sollte natürlich keinen Schierling im Garten haben. Sie könnten ihn zum Beispiel mit der Schafgarbe verwechseln.

Aber irgendwann ist unser Schierling verschwunden. Er ist eine zweijährige Pflanze, die sich aber durch Selbstaussaat vermehrt. Fühlte er sich nicht mehr wohl bei uns? War er ausgewandert, weil er sich von meiner Frau Anke diskriminiert sah? Die hatte immer einen Bogen um ihn gemacht. Angeblich, weil der Schierling ein wenig streng rieche. Nach Mäuse-Pipi. Das habe sie bei Wikipedia gelesen. Aber wer weiß schon, wie der Urin der Nager riecht? Angekündigt hat der Schierling sein Verschwinden nicht. Da war er anders als die Hollywood-Schauspieler, die für den Fall einer Wahl von Donald Trump mit Auswanderung gedroht hatten. Bis heute hat noch keiner die Möbelwagen bestellt. Mein Schierling aber war einfach weg. Vielleicht sind junge Pflänzchen auch Opfer des Unkrautjätens geworden.

Anke vermisst ihn nicht. Unter Naturschutz steht der Schierling auch nicht – anders als sein berühmter Verwandter, der Schierlings-Wasserfenchel. Weltweit einzigartig, wächst Oenanthe conioides nur noch an der Elbe von Glückstadt bis zur Staustufe Geesthacht. Er ist so vom Aussterben bedroht, dass die Bundesrepublik Deutschland laut EU-Recht zu den allergrößten Anstrengungen für den Erhalt der Art verpflichtet ist.

Und diese seltene Pflanze, so hört und liest man jetzt oft, soll schuld sein, dass Hamburg immer noch nicht mit der nächsten Elbvertiefung anfangen kann? Die arme Pflanze kann nix dafür. Der Senat hat für ihre Erhaltung eine falsche Ausgleichsfläche ausgewiesen – eine, die schon mal als solche ausgewiesen war. Mit einer anderen Begründung. Vor 19 Jahren. Der mittlerweile verstorbene Henning Voscherau war damals noch Bürgermeister. Das ist, so kann man wohl sagen, geschummelt. Als ob man etwas zweimal verkaufen will. Die Richter am Bundesverwaltungsgericht kamen sich verschaukelt vor – um es freundlich auszudrücken.

Nun muss also, mal wieder, nachgebessert werden – und eine neue Ausgleichsfläche her. Bürgermeister Olaf Scholz will jetzt auf die Umweltverbände zugehen. Ich hätte da einen Tipp. Der Botanische Verein zu Hamburg beschäftigt sich schon seit dem Jahr 2000 mit Schierlings-Wasserfenchel. Da war die letzte Elbvertiefung gerade abgeschlossen. Aber nach der Elbvertiefung ist vor der Elbvertiefung. 2001 wurde Ole von Beust Bürgermeister und sein Wirtschaftssenator Gunnar Uldall verantwortlich für den Hafen. Die Planungen für die nächste Elbvertiefung begannen, noch bevor 2007 der Bau der Elbphilharmonie beschlossen wurde.

Der Botanische Verein ist eine Institution, die im vorigen Jahr ihren 125. Geburtstag feierte. Die Herrschaften kümmerten sich also schon zu einer Zeit um den Erhalt der Hamburger Pflanzenwelt, als es das Wort „Umweltschutz“ noch gar nicht gab. In einem eigens ausgebaggerten Priel haben sie schon vor Jahren die idealen Wachstumsbedingungen für den Schierlings-Wasserfenchel getestet – wie schlickig der Grund sein darf und wie salzig das Wasser, wie sich Ebbe und Flut auswirken. Test-Auspflanzungen waren erfolgreich. Mögliche Ausgleichsflächen, etwa im Bereich der Süderelbe, gibt es auch – wie Horst Bertram vom Botanischen Verein erklärt. Allerdings kann man die kaum ruck, zuck als Ausgleichsflächen für die bedrohte Pflanzenart ausweisen. Vorher müssten etwa noch Eigentumsverhältnisse geklärt und Anwohner gehört werden. Das kann dauern. Aber die Elbphilharmonie ist ja auch mal fertig geworden.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth