Wurzeln der Christrose sind offenbar vielseitig verwendbar. Wer genug Geduld hat, den wird die immergrüne Pflanze mit Farbenpracht erfreuen

War das eine frühe Form der biologischen Kriegsführung oder nur eine ganz raffinierte Kriegslist? Um 600 v. Chr. belagerte der Athener Feldherr Solon die Stadt Kirrha, die den Zugang zum berühmten Orakel von Delphi nur gegen erpresserisch hohe Gebühren gewährte. Ohne die Weissagungen des Orakels lief für die hellenischen Stadtstaaten gar nichts. Auf die waren die Griechen damals so dringend angewiesen wie heute auf die Milliarden aus Brüssel. Solon, der nicht nur ein großer Stratege, sondern auch einer der Väter der Demokratie war, leitete den Fluss um, der die Stadt mit Trinkwasser versorgte. Als die Einwohner fast irre waren vor Durst, ließ er giftige Wurzeln von Helleborus niger in den Fluss werfen, dann leitete er das Wasser wieder durch die Stadt. Was hinterlistig war. Die Verteidiger bekamen schreckliche Diarrhö und hatten die Hosen so voll, dass Solon die Stadt nahezu widerstandslos einnehmen konnte.

Die Pflanze, mit deren Hilfe der große Solon die Wegelagerer von Kirrha in die Knie zwang, ist uns besser bekannt als Christ- oder Lenzrose und wurde gerade zu Weihnachten zu Millionen gekauft und verschenkt. Die meisten enden hierzulande bald als Biomasse, weil die flüchtigen Schönheiten keine Zimmerpflanzen sind und in warmen Räumen schnell kümmern. Weswegen man in guten Fachbetrieben auch stets den Rat erhält, sie am besten in kühle Räume oder helle Treppenhäuser zu stellen. Am besten bekomme ihnen der Wintergarten. Aber wer hat so was – bei den Immobilienpreisen heute?

Draußen fühlen sie sich am wohlsten, sie blühen dort anders als ihre Verwandten, die von der Garten-Industrie auf pünktliches Erblühen zu Weihnachten getrimmt werden, oft monatelang – bei entsprechenden Temperaturen als Frühblüher von Januar/Februar bis ­April/Mai. Echte Hingucker in eher grauen Wintern, die wir hier so kennen. Dabei ändern die immergrünen Pflanzen ihre Blütenfarbe allmählich von Weiß über Rosa bis zu Hellgrün.

Draußen können Christrosen, die wie Anemonen, Clematis und Rittersporn zu den Hahnfußgewächsen gehören, zu prächtigen, bis zu 50 Zentimeter hohen Horsten heranwachsen. Aber nur ganz allmählich. Erst im nächsten Frühjahr werden aus den Samen erste Pflänzchen. Ganz mini, man kann sie schnell als Unkraut wegharken. Mindestens drei Jahre brauchen die kleinen Bodendecker, bis sie zum ersten Mal blühen. Von Vorteil ist ein Standort im Halbschatten in leicht kalkhaltigem Boden.

Meine erste Dreiergruppe von Christrosen hat sich nach drei, vier Jahren einfach so verabschiedet. Warum, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht hat sich eine zweite Gruppe besser entwickelt, weil ich in die Pflanz-Erde Reste von Mörtel gemischt hatte. Einen Eimer voll hatte mir eine Nachbarin überlassen: „Gut für Pflanzen, die Kalk lieben.“ In diesem Frühjahr versuche ich es mit Muschelkalk aus dem Baumarkt, wenn ich neue Lenzrosen pflanze. Nicht mehr die weißen, sondern farbige.

Zu Beginn meines Gärtnerlebens sollte es draußen aussehen wie drinnen, Weiß der Grundton sein. Ganz streng, ganz formalistisch. Vielleicht bin ich auch nur einer Mode erlegen. Den (fast) weißen Teppichboden habe ich bald ausgetauscht, nachdem meine Frau Anke vor fast 20 Jahren in mein Leben und meine Stadtwohnung getreten war. Sie fand das alles toll, hatte aber eine Sorge: „Da siehst du doch jeden Flecken drauf.“

Weiße Margeriten und weiße Hortensien gibt es immer noch in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland. Inzwischen haben sich aber viele Farben daruntergemischt. Mir ging das wie der Bestseller-Autorin Elke Heidenreich, die ihren ersten Garten auch ganz in Weiß halten wollte und bald der Faszination der Farben erlag. Auf eine bestimmte Farbe der Lenzrosen, die ich im Frühjahr pflanzen will, habe ich mich noch nicht festgelegt. Es gibt Zuchtformen in tiefem Dunkelblau, fast schwarz; in Grün, Gelb und verschiedenen Rot-Tönen. Anke tendiert zu Helleborus purpurascens.

Nachdem die weiße Christrose gegen 1600 aus Südeuropa zu uns kam und erst die herrschaftlichen Gärten eroberte, kamen später Arten und Sorten aus Syrien und der Türkei und sogar aus China dazu. Die ersten, bahnbrechenden Züchtungen gab es vor mehr als 100 Jahren im Berliner Botanischen Garten, später nahmen die gartenverrückten Engländer das in die Hand. Die schönsten Zuchterfolge beruhen auf Kreuzungen mit der Orientalischen Nieswurz, wie die Lenzrosen auch heißen. Niespulver wird aus den Wurzeln schon lange nicht mehr gemacht. Zu gefährlich. Wie immer kommt es bei Giften auf die Dosis an. „Zwei Löffel machen rot“, heißt es in einem Roman von Ludwig Ganghofer, „zehn Löffel machen tot.“

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth