Die Behörde drohte, ihm seine Kleingartenparzelle zu entziehen, weil die so verwildert war. Mein Tipp: Im Herbst Ordnung für das Frühjahr machen!

Albert Einstein (1879–1955), der Erfinder der Relativitätstheorie, war ein Jahrtausend-Genie. Der Physiker und Philosoph löste das Geheimnis von Raum und Zeit. E=mc2 ist die wohl berühmteste Gleichung der Menschheitsgeschichte. Eine Art Weltenformel, die fast alle kennen und kaum einer wirklich erklären kann. Das Poster, auf dem er als fröhlicher alter Mann der Welt die Zunge herausstreckt, hing in meiner Studentenbude länger als das von Che Guevara. Der Arzt und Revolutionär war auch eine Art Genie, allerdings auf einem ganz anderen Gebiet.

„Die Tiefe des Denkens gedeiht nicht neben Geschäftigkeit“, schrieb der frischgebackene Nobelpreisträger Einstein Anfang der 20er-Jahre einem Freund. Was aber tun, wenn man wie er in der Großstadt seinen Arbeitsplatz hat? Eine Villa mit großem Garten, etwa im vornehmen Grunewald? So dicke hatte es der berühmte Forscher damals noch nicht. Das Geld aus dem Nobelpreis hatte er gerade seiner Ex-Frau Milewa und den beiden Söhnen überlassen. Einsteins Lösung: eine Gartenlaube, wie ich kürzlich im „Tagesspiegel“ las. Im Berliner Stadtteil Spandau, in der Kleingarten-Kolonie Bocksfelde, am Ufer der Scharfen Lanke, einer Bucht der Havel. Dort verbrachte er viel Zeit mit seiner zweiten Frau Elsa, spielte Violine und schaute den Sonnenblumen beim Wachsen zu.

Einstein, das Physik-Genie, war ein lausiger Gärtner. Weshalb ihm das Bezirksamt Spandau bald mit Kündigung der Parzelle drohte. Einstein entschuldigte sich wegen des wuchernden Unkrauts, er sei gesundheitlich nicht in der Lage gewesen, es zu jäten. Aber nun komme ja der Winter und nehme ihm die Arbeit ab. Im kommenden Frühjahr, da werde er sich kümmern.

Ich mache das jetzt schon. Das Laub ist gefegt, und ich stelle fest, dass der Garten ein wenig aus der Form gerät. Katzenminze und Indianernessel wachsen in die Lavendelsträucher. Ausgewilderte Geraniumsorten überwuchern den Wollziest. In den Beeten fallen mir Dutzende Mini-Eichen, Ilex-Triebe und kleine Eiben auf. Jetzt, wo die Erde feucht ist, lassen sie sich leicht herausreißen – wie verschiedene Kamillesorten, die erst gar nicht kommen wollten und mit fettem Kompost gemästet werden mussten. Nun bilden sie solche Horste, dass ich mit dem Spaten ranmuss.

Einfacher zu entfernen sind schon die Kermesbeeren. Für deren Verbreitung sorgen Amseln und Drosseln, die offenbar ganz wild auf die dunkelroten, im Herbst manchmal schwarz-violetten Beeren sind und die Samen mit ihrem Kot verbreiten. Und zwar am liebsten dort, wo sie in Ruhe und geschützt vor Feinden ihr Geschäft verrichten können: unter Sträuchern, an Gehölzrändern und im Schutz von Hecken. Dort entdecke ich jedenfalls jedes Jahr neue Kermesbeeren, wobei sie sich konkurrenzstark sogar im dichten Wurzelfilz von Fichten und Buchsbäumen behaupten. Manche müssen raus, manche kommen auch nicht wieder.

Meine Frau Anke hatte vor etwa zehn Jahren ein Exemplar bei unserem Lieblingsgärtner entdeckt und mich mit dem einfachsten Argument zum Kauf überredet: „Ist die nicht hübsch?“ Mir war sie ein wenig zu exotisch, unser kleiner Mühlenpark im Wendland sollte ja nicht zu einem Hort für Exoten aus aller Welt werden. Als die Gärtnersfrau mein Zögern bemerkte, sagte sie wie beiläufig, Kermesbeeren seien nicht sehr frosthart. Okay, dachte ich, dann hat sich das bald erledigt. Denkste, die Kermesbeere wuchs gleich im ersten Jahr auf gut einen Meter. Im Sommer bildeten sich aufrechte Blütenkerzen, die sich später zu prächtigen Fruchtständen entwickelten, mit erst weißlichen, dann dunkel-schwarzroten Beeren.

Phytolacca acinosa, die asiatische Kermesbeere, ist ausgesprochen schnellwüchsig und bildet eine rübenartige Wurzel. Weltweit gibt es gut zwei Dutzend Arten, die meisten stammen aus Asien und Amerika. In Südamerikas Tropenwäldern gibt es eine Form, die bis zu 20 Meter groß werden kann. Fast alle Arten sind giftig. Seit einigen Jahrhunderten gibt es sie auch in Europa als attraktive Zierpflanze, zunächst nur in den Mittelmeerländern oder in milden Weinbaugebieten. Indianer in Amerika verwandten sie als Farbstoff wie früher Winzer in Frankreich, um dem Rotwein mehr Glanz zu geben.

Ist es der Klimawandel, oder hat sich die Kermesbeere an unsere Temperaturen gewöhnt? Ich habe in den letzten Wochen mehrere Briefe von Lesern bekommen, die mir Bilder von Kermesbeeren aus ihren Gärten schickten. Vögel hatten für die Verbreitung gesorgt, habe ich ihnen geantwortet. Und Vorsicht, giftige und ungiftige Arten sind nur schwer auseinanderzuhalten.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth