Die Adventszeit nur mit Tannengrün zu begehen ist manchem zu fad. Ein blühender Barbarazweig bringt Farbe ins Spiel. Und das geht so ...

Es gibt Tage im November, die sind zum Träumen. Neulich etwa, in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland. Die Sonne schien. Die Temperaturen lagen knapp über null. Ich war, kurz nach dem Frühstück, auf meinem täglichen Rundgang. Direkt vor mir segelte ein Blatt von der großen Blutbuche vorbei und landete sanft im Gras. Ich blickte auf und sah, wie noch ein Blatt fiel. Dann noch eins und noch eins. Es war windstill, und sie fielen einfach ab. Als hätten sie aufgegeben. Mir fiel die Zeile eines Gedichts ein, das ich vor ein paar Tagen zufällig gelesen hatte. Da hieß es: „Warum nicht sterben, wenn die Sonne scheint?“

Ich glaube, ich blieb einige Minuten stehen und schaute den Blättern beim Fallen zu. Mein Rundgang dauerte diesmal etwas länger, weil ich häufiger anhielt. Um Blättern beim Fallen zu zusehen. Immer wieder fielen welche. Aber der Zauber war verflogen.

Zurück in der Mühle wunderte sich meine Frau Anke, warum ich so lange unterwegs war. „Ach, nichts“, sagte ich und fügte hinzu, ich hätte schon mal nach geeigneten Barbarazweigen geschaut. Erst später, am Abend, berichtete ich ihr vom Zauber der sterbenden Blätter. Mir hatten die Worte gefehlt.

Ich lüge meine Frau nämlich nicht an. Okay, manchmal verschweige ich ihr etwas. Um sie nicht unnötig zu be­unruhigen. Bei meinen winterlichen Gartenrundgängen überlege ich dauernd, was ich noch pflanzen könnte. Die Namen und möglichen Pflanzorte notiere ich auf kleinen Zetteln, die ich in einer Schublade sammle. Im Februar habe ich dann so viele Zettel, dass ich fast einen neuen Garten bräuchte. Was Anke natürlich beunruhigen würde.

Stellen Sie sich mal vor, Politiker würden immer alles gleich hinausposaunen, was ihnen gerade so einfällt. Also gut, bei der Kanzlerin würde ich mir häufiger wünschen, dass sie sagt, was sie wirklich will. Etwa in der Flüchtlingsfrage. Aber mal ehrlich, würde das viele Menschen nicht unnötig beunruhigen? Besser, sie sagt nichts. Ihr Vize, Sigmar Gabriel, greift sowieso gleich zum Telefonhörer und informiert die Medien, wenn ihm etwas einfällt. Und, wissen wir jetzt, was er wirklich will?

Ich mache es lieber wie die Merkel. Ich sammle Ideen. Im März schaue ich dann, was geht – und rede mit Anke. Die Schublade ist danach leer. In diesem Jahr war die herbstblühende Alraune. Jene mythenbehaftete Zauberwurzel, die ich unbedingt haben wollte. Sie ist leider nicht gekommen. War’s der falsche Standort? Oder habe ich im Sommer, wenn sie ihre Blätter einzieht, schnell noch ewas anderes an die Stelle gepflanzt. Ich bin mir nicht sicher ...

Sträucher für den Schnitt von Barbarazweigen haben wir jedenfalls genug, um sie nach altem Brauch am 4. Dezember schneiden zu können, damit sie pünktlich zu Weihnachten blühen. Flieder, Kirsche, Apfel, Pflaume, Kastanie, Ginster, Forsythie, Hasel, Birke, Holunder, Rotdorn – und die Liste ist noch nicht einmal vollständig.

Anke liebt vor allem die Blüten von Prunus serrulata „Amanogawa“, einer Zierkirsche, die aus Japan und China stammt. Ein wunderbarer Baum, der säulenartig wächst und sich daher auch für kleine Gärten in der Stadt eignet. Er ist anspruchslos und liebt Sonne. Die Zierkirsche wird bis zu sieben Meter hoch, wirft aber wegen ihres schlanken Wuchses kaum Schatten. Prima für Vorgärten, wo sie im April und Mai mit ihren rosa, stark duftenden Blüten ein Blickfang für die ganze Straße sein kann.

Der Brauch mit den Barbarazweigen geht auf eine christliche Märtyrerin aus dem 4. Jahrhundert zurück, die vier Wochen im Kerker auf ihre Hinrichtung wartete. In einer Wasserschale verwahrte sie einen Kirschzweig, der am Tag ihres Todes aufblühte. Seitdem gelten Barbarazweige als Glückssymbol – für fast alles und jeden. Die Heilige ist unter anderem Patronin für Bergleute, Artilleristen, Geologen, Steinmetze, Hutmacher, die Feuerwehr, Lehrer und Landwirte, Jungfrauen, glückliche Ehen und Lottoglück. Womit ich nicht sagen will, dass glückliche Ehen nur noch so häufig sind wie ein Sechser im Lotto.

Ein Blühwunder zu Weihnachten geht einfach. Man muss die Natur nur austricksen und ihr vormachen, es sei Frühling. Dazu brauchen Sie erst einmal einen Kälteschock. Hat es draußen noch nicht gefroren, hilft auch eine Nacht im Gefrierfach. Danach die Zweige für mehrere Stunden in lauwarmes Wasser legen, um den Frühlingsbeginn vorzugaukeln. Die Stiele dann leicht aufspalten, manche Großmütter schwören darauf, sie mit einem Hämmerchen platt zu klopfen. Dann in eine Vase mit Wasser und in einen nicht zu warmen Raum stellen. Bitte nicht an die Heizung, das lässt die Knospen eintrocknen.

Viel Erfolg, bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth