Man kann, wenn man nicht auf Vorurteile hört. Iris foetidissima riecht nur unangenehm, wenn man sie zerreibt. Aber das muss man ja nicht

„Nichts ist für aufrichtige Liebhaber gefährlicher als die Welt der Vorurteile“, warnte mal der Schweizer Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712–1778). Der große Pädagoge („Zurück zur Natur“), Vordenker der Aufklärung und geistige Wegbereiter der Französischen Revolution von 1789 wusste, dass die Welt oft bestimmt wird durch Vorurteile.

Und wie ist das mit mir? Gewiss, ich bemühe mich, aber ausschließen will ich mich da auch nicht. Nicht mal als Gärtner. Ich gebe zum Beispiel gern zu, dass ich eher zugreife, wenn ich den Namen „Christrose“ höre – und nicht Stinkender Nieswurz. Dabei sind beide Helleborus-Arten attraktive Pflanzen, wobei Letztere durchaus ihrem Namen ein wenig Ehre macht. Aber man muss schon genauer „hinriechen“, bis es in der Nase auch ein wenig müffelt.

Schwierig, zum Hit in unseren Gärten zu werden, wird es auch für eine Pflanze, wenn sie als Stinkende oder Übelriechende Iris bezeichnet wird – wo es doch zum Beispiel nahe Verwandte wie die sibirische Schwertlilie gibt, deren Zuchtformen so wohlklingende Namen wie „Elfe“, „Schöne Maid“, „Blue Ce­leste“ oder „Caesar’s Brother“ haben. Die Wiesen-Iris wurde von der Stiftung Naturschutz Hamburg und Stiftung Loki Schmidt sogar zur Blume 2010 ausgerufen. Natürlich nicht wegen der schönen Zuchtformen, sondern weil die Wildart stark gefährdet ist.

Ich hätte eine Schwertlilie, die mit dem Namen „Stinkende Iris“ geschlagen ist, wahrscheinlich auch nie freiwillig in unseren kleinen Mühlenpark holen wollen, wenn ich nicht bei der Suche nach Stauden und Gehölzen für den asiatisch angehauchten, schattenreichen Teil durch das Buch „The Dry Garden“ der britischen Garten-Ikone Beth Chatto auf Iris foetidissima gestoßen wäre. Als ich meiner Frau Anke freudig verkündete, ich würde uns als Nächstes sechs Töpfchen mit Stinkender Iris bestellen, guckte sie mich an, als wolle sie sagen: „Geht’s noch?“

Okay, Anke weiß, dass ich ein großer Fan von Beth Chatto bin, weil sie ihren Garten nahe Colchester in der englischen Grafschaft Essex so angelegt hat, dass man dort praktisch nie gießen muss – außer beim Anpflanzen natürlich. Dabei regnet es in diesem Teil Englands mit etwa 500 Millimetern pro Jahr noch weniger als bei uns im Wendland, ganz zu schweigen von Hamburg oder Schleswig-Holstein. Ihr Garten liegt auf einer eiszeitlichen Endmoräne mit viel Sand, Schotter und Steinen, wo der wenige Regen auch noch ziemlich schnell durchrauscht. Wie im Wendland, wo die Böden ähnlich beschaffen sind.

Gerade jetzt zur Kartoffelernte kann man das gut beobachten, wenn die Bauern am Feldrand Haufen von Steinen abladen, die beim Roden aussortiert worden waren. Die Größe reicht vom Kieselstein bis zum Hinkelstein. Einen solchen Kaventsmann, etwa zwei Meter hoch und tonnenschwer, habe ich nicht mithilfe des dicken Obelix und seines Zaubertranks, sondern mit meinem Nachbarn Peter, seinem Trecker und einer Seilwinde in unserem Mühlenpark aufgestellt. Befestigt in Beton und Moniereisen, damit das Ding auch ja niemandem mal auf die Füße fällt. Ich nenne ihn „Alter Schwede“, weil ihn die Gletscher der Eiszeit vielleicht von Skandinavien bis ins Wendland transportiert haben.

Aber zurück zu Beth Chatto und ihrem Trockengarten. Für ihn sammelte sie Pflanzen aus aller Welt – unter anderem viele Wolfsmilcharten, Zistrosen, Heiligenkraut, Strauchveronika und Zierlaucharten. Sie mussten nur trockenheitsresistent sein und auch im Schatten großer Leyland-Zypressen gedeihen, die sie zum Schutz gegen kalte Ostwinde gepflanzt hatte. Dazu gehören auch Iris-Arten, von denen viele eher feuchte Plätze mögen, aber andere es ganz gern auch trockener lieben, wie eben Iris foetidissima. Die übrigens, um das Vorurteil wegen des Namens aufzulösen, nicht wirklich stinkt. Jedenfalls nicht immerzu. Der Geruch stellt sich bei der winterharten Schwertlilie nur ein, wenn man die wintergrünen Blätter zwischen den Fingern zerreibt. Und das muss man ja nicht unbedingt tun.

Die Blüten der Lilie, die man am besten in Gruppen pflanzt, sind eher unauffällig. Die Farben reichen von Zartlila bis Braun – je nach Sorte. Die „Übelriechende Iris“, wie sie bei uns auch heißt, wird erst nach der Blüte zum Knaller. Ihre großen orangefarbenen Samenkörper glänzen wie Perlen sogar im tieferen Schatten unter Koniferen, wo sie lediglich zwei bis drei Stunden ein paar Sonnenstrahlen erhaschen. Nur Geduld braucht man: Drei Jahre dauert es schon, bis es Horste von bis zu 60 Zentimetern Höhe gibt. Besonders schön sind panaschierte Formen, wenn also die grünen Blätter einen weißen Rand haben.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth