Unbemerkt hat sich die schöne Staudenblume bei mir eingeschlichen und den trockenen Sommer überstanden. Deswegen pflanze ich weitere dazu

Mein Gott, war das peinlich. Meine Frau Anke lobte mich für eine hübsche, blau blühende Pflanze am Mühlenweg, wie wir die unbefestigte Zufahrt zu unserem Mini-Park im Wendland nennen. Gut, ich fand die etwa einen halben Meter hohe Staude mit ihrem aufrechten, walzenförmigen Blütenstand auch ausgesprochen schön. Aber ich wusste weder ihren Namen, noch konnte ich mich erinnern, wann ich sie gepflanzt hätte. Ich hatte das auch nicht vergessen, wie ich ausdrücklich betonte. Ein hässliches Wort, gerade unter Menschen im Rentenalter.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte mir ein paar Tage später eine Bauersfrau. Sie hatte die unbekannte Schönheit auch nicht auf Anhieb erkannt. Das sei der Blaue Heinrich, habe ihre Mutter gesagt. Der wachse wie Unkraut, praktisch überall. Besonders gern auf Brachflächen oder am Wegesrand. Eben wie bei uns. Tatsächlich ist der Blaue Heinrich eine alte Wildstaude, die früher auch in Bauerngärten beliebt war. Gewöhnlicher Natternkopf ist ihre korrekte botanische Bezeichnung, Echium vulgare der lateinische Name.

Irgendwie, unter dem Schuh eines Wanderers oder mit dem Kot eines Vogels, muss der Natternkopf an unseren Wegesrand gelangt sein. Und weil Anke die Hoffnung auf normale Ausbreitung durch Samen nicht sicher genug schien, musste ich ihr versprechen, im nächsten Frühjahr mindestens zwei oder drei Jungpflanzen zu besorgen. Ich tue das gern – hat doch der hübsche Natternkopf den wichtigsten Test für die Ansiedlung am Mühlenweg schon bestanden. Er hatte den trockenen Sommer schadlos überstanden – wie auch Lavendel, Kamille, Wollziest, Katzenminze, Fetthenne, Weinraute, wilder Oregano oder der Ziersalbei, der mit seinen violetten Blättern wahrscheinlich eine Züchtung aus dem Salvia pur­purascens ist. Als Ziersalbei hatte ich ihn jedenfalls in einer Gärtnerei erstanden – auch weil er mir als ausgesprochen „trockenheitsresistent“ angepriesen worden war. Diese Eigenschaft ist Voraussetzung für eine Ansiedlung an unserem Mühlenweg. Das Grundstück ist fast 150 Meter lang – auf jeden Fall zu lang, um dort sommertags andauernd Gießkannen zu schleppen.

Die Stauden und Halbgehölze haben auch gemeinsam, dass sie in sandigen, nähstoffarmen Böden zurechtkommen. Sedum-Arten wie die Fetthennen zum Beispiel speichern Wasser in ihren dicken Blättern, die zum Schutz gegen das Austrocknen mit einer wachsartigen Schicht überzogen sind. Natternköpfe haben Wurzeln, die bis zu zwei Meter in die Tiefe reichen. Dort gibt es noch Wasser zu holen, wenn oben die Erde schon staubtrocken ist. Natternköpfe haben ihren Namen daher, weil ihre Samen, nicht die Blüten, an einen Natternkopf erinnern. Wohl wegen des Namens galten Pflanzenextrakte früher als Heilmittel gegen Schlangenbisse. Wissenschaftlich bewiesen ist die Wirkung nicht.

Echium vulgare kann bis zu 80 Zentimeter groß werden und blüht von Juni bis September – erst rosa, dann blau – und ist eine wertvolle Bienennährpflanze. In naturnahen Gärten ist idealerweise ihr Zuhause in Kiesbeeten. Dort fühlt sich eine nahe Verwandte wohl: Echium russicum stammt aus den Steppen Osteuropas. Der Russen-Natternkopf wird nicht ganz so groß und blüht, wie denn sonst, tiefrot.

Eine andere Naturschönheit, die vielen Gärtnern als Unkraut gilt, hat auch schon länger ihren Platz an meinem Naturbeet zwischen den Feldsteinen gefunden, die unseren Mühlenweg säumen. Ich rede von der Wegwarte. Ihre Samen befinden sich wie die des Natternkopfs auch in den „Samenbomben“ von Guerilla-Gärtnern, mit denen diese in den Städten das unwirtliche Einerlei an Straßenrändern verschönern wollen. Man findet die Wegwarte neuerdings auch in frisch eingesäten Blumenwiesen. Das ist allerdings nicht der Grund, warum ich sie in unserem Mühlenpark angesiedelt habe. Für mich als ehemaligen Studenten der Germanistik war sie ein Muss wie für manche Frauen das angesagte Prada-Blüschen, weil Cichorium intybus wohl die berühmte blaue Blume der Romantik war. „Die blaue Blume sehn ich zu erblicken.“ Diese Worte legte der 1801 verstorbene Dichter Novalis seinem Helden Heinrich von Ofterdingen in einem Romanfragment in den Mund. Mit ihr wurde die Wegwarte zum Symbol einer ganzen Epoche – und für einen Traum von Sehnsucht, Selbstsuche und romantischer Liebe. Im Antlitz seiner Mathilde glaubt der Held im Roman von Novalis jenes Gesicht zu erkennen, das er im Traum im Blütenkelch der blauen Blume sah. Gänzlich unromantisch ist, dass Cichorium intybus auch die Urmutter von Chicorée und Endiviensalat ist.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth