Ameisen-Schwärme entstehen, weil junge Königinnen sich in der Luft begatten lassen. Was übrigens die Männchen teuer bezahlen müssen ...

Neulich las ich in einer Gartenzeitschrift, der Sommer sei die schönste Zeit des Gärtners. Es gebe praktisch nichts zu tun. Hier und da Verblühtes ausschneiden, etwa bei öfter blühenden Rosen oder Margeriten-Büschen, was ja für eine kräftige Nachblüte sorgen soll.

Dachte ich auch. Die Klage darüber, dass die Jahreszeit nicht so ausfällt, ist älter als das Lied von Rudi Carrell – und schuld daran ist nicht die SPD, wie der Showmaster schon 1975 lästerte. Damals sprach noch keiner vom Klimawandel.

Ich klage nicht. Dieser Juni galt weltweit als der wärmste. Auch wenn wir das in Deutschland nicht so wahrgenommen haben. Wegen des Regens. Gewitter mit so starken Niederschlägen, dass nicht nur Keller vollflossen, sondern im Süddeutschen ganze Dörfer überschwemmt wurden. Der Großstädter ist natürlich betroffen, empfindet es aber schon als ungerecht, wenn es ausgerechnet nach Feierabend regnet, wenn er die Zeit lieber im Straßencafé oder zur körperlichen Selbstoptimierung auf einer Fahrradtour verbringen wollte.

Uns Gärtnern ist das ziemlich egal. Unser kleiner Mühlenpark im Wendland ist zum Urwald mutiert. Bäume und Sträucher treiben wie nix, Eisenhut und Lupinen zum Beispiel sind zu Giganten gewachsen. Okay, das ist vielleicht ein wenig übertrieben. Bodendeckern wie Efeu kann man fast beim Wachsen zugucken. Ich muss schneiden und schneiden. So wird es nicht so recht was mit der Sommeridylle. Sie wissen schon, mit einem guten Buch im Schatten, und die liebe Ehefrau bringt gelegentlich eine Dose Bier.

Ich war also in Erwartung eines leicht gekühlten Getränkes, als meine Frau Anke zu meiner Sitzbank aus alten Randsteinen unter einer noch älteren Eiche kam. Bier hatte sie nicht, aber eine Frage: „Können Ameisen fliegen?“ Ich antwortete: „Hochzeitsflug.“ Das wusste ich noch aus dem Biologie-Unterricht. Um Zeit zu gewinnen, fragte ich dann noch: „Wie kommst du darauf?“ Anke, die Sonne mehr liebt als ich, hatte auf einer Bank am Vorplatz der Mühle gesessen, um in Ruhe die Tageszeitung zu lesen. Irgendwann fiel ihr ein Insektenschwarm auf, der immer größer wurde, bald drei Meter hoch und fast so breit. Neugierig, wie sie nun einmal ist, ging sie vorsichtig auf den Schwarm zu. Im Nu hatte sie Ameisen auf den Arm. Für den Rest ihrer Frage musste ich mich erst einmal schlaumachen.

Ameisen können tatsächlich fliegen. Nicht alle der 111 bekannten Arten, die es in Deutschland gibt, aber die Rote und die Schwarze Wegameise schon. Ameisen sind grundsätzlich nützliche Insekten, tragen etwa zur Beseitigung von Aas und Pflanzenresten bei, töten auch andere Insekten. Die Rote Waldameise gilt sogar als Polizei des Waldes und steht unter Naturschutz. Die Miniburgen aus Sand von Garten- und Wegameisen haben die meisten von Ihnen sicherlich schon in den Fugen von Gehsteigen oder Terrassenplatten gesehen. Oder im Rasen. Diese kleinen Burgen sind nur der sichtbare Teil dessen, was man den Ameisenstaat nennt.

Ein streng hierarchisches Gebilde, meist unterirdisch, aber auch in Baum- und Mauerhöhlen. So ein Ameisenstaat kann bis zu 20.000 Mitglieder haben. An der Spitze steht eine Königin, deren einzige Aufgabe es ist, Nachkommen zu produzieren. An erster Stelle Arbeiterinnen, die für den Ausbau des Staates schuften und ansonsten Nahrung herschleppen. Für die Königin, die theoretisch und je nach Art Millionen Ameisenbabys produzieren kann. Neben den Arbeiterinnen eine weitere Königin, die dann schnellstmöglichst auswandern muss. Mit den Männchen.

Hier kommt der Hochzeitsflug ins Spiel. Eine junge, geschlechtsreife Königin hat Flügel. Wenn sie aus dem Bau krabbelt, folgen ihr die Männchen, die ebenfalls Flügel haben. Das können einige Hundert, aber auch Tausende sein, die an heißen Tagen im Sommer die Königin umschwirren. Manchmal vereinigen sich solche Schwärme. Im Saarland soll so ein Riesenschwarm einen Kirchturm wie eine schwarze Wolke umhüllt haben. Anwohner riefen die Feuerwehr, sie glaubten an Rauch.

Wenn die Königin befruchtet ist, kehrt sie auf den Boden zurück. Die Flügel, die eine Sollbruchstelle haben, fallen ab. Dann gründet sie einen neuen Staat. Die männlichen Mitflieger sterben. Die Begattung war ihre einzige Lebensaufgabe. Die neue Königin produziert Nachkommen um Nachkommen – und das maximal 29 Jahre.

Ameisen können aber auch lästig sein. Nicht nur die im Haus lebenden Küchenameisen. Stiche und Bisse, die sie bei Gefahr austeilen, können schmerzhaft sein. Nächste Woche erzähle ich, was man dagegen tun kann. Auf der Terrasse. Oder im Haus. Und ohne Gift.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth