Japanische Zierquitten sind vornehm in der Blüte und holzig-sauer in der Frucht. Aber die wird als Gelee, Saft oder Marmelade zum gesunden Genuss

Albert Tics hatte einen Plan. Er wollte eine Bombe bauen. Keine Atombombe oder ähnlich Schlimmes. Er dachte an eine Vitaminbombe. Denn Vitamine waren knapp vor 60 Jahren in seiner Heimat Lettland – und die baltische Volksrepublik wahrlich nicht ein Land, wo Zitronen blühen. Tüftler Tics von der Garten-Versuchsanstalt Pure im lettischen Kreis Tukuma schwebte so was vor wie die aus einer Laune der Natur entstandene Mutation der Blauen Heckenkirsche (Lonicera caerulea). Die Variation wächst sogar auf der Halbinsel Kamtschatka im Osten Sibiriens, von der die Überlebenskünstlerin auch ihren Namen hat.

Die Kamtschatkabeere ist ein Strauch, der gut einen Meter hoch wird und schon im Mai etwa zwei Zentimeter lange, flaschenförmige Beeren hat. Die heißen deshalb auch Maibeeren oder wegen ihrer Süße Honigbeeren. Der Strauch wächst auf jedem Boden, braucht lediglich Sonne. Die blaue Beere aus Sibirien ist – bei dem Namen – natürlich absolut winterhart, ihre Blüten überstehen sogar Spätfröste von bis zu acht Grad minus. Die Beeren, die am besten frisch vom Strauch schmecken, sind außerdem kleine Gesund-Bömbchen, reich an Vitamin C, mehr als in der Zitrone ist.

Ich überlege schon länger, einige Exemplare in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland zu pflanzen. Man kann nämlich aus den Beeren Marmelade, Gelee oder leckere Liköre machen. Selbst wenn beim Marmelade-Kochen etwa 30 Prozent der Vitamine flöten gehen, müssten immer noch genügend übrig bleiben, dass ich auf den mit Wasser verdünnten Zitronensaft verzichten könnte. Den versucht mir meine Frau jeden Winter als Vorbeugung schmackhaft zu machen. „Da sind viele Vitamine drin“, sagt sie dann, „ du holst dir ja keine Grippe-Impfung.“ Weil ich nämlich etwas ungern zum Zahnarzt gehe, glaubt sie, ich hätte, wie so mancher Mann, Angst vor Spritzen – was, natürlich, ganz bestimmt nicht stimmt. Ich könnte es fast schwören.

Aber zurück zur Garten-Versuchsanstalt von Albert Tics im Lettland der 50er-Jahre. Natürlich kannte der Botaniker die Kamtschatkabeere. Aber die war ihm etwas klein. Er wollte was Größeres, eine richtige Vitamin-Bombe. Von der japanischen Zierquitte wusste er, dass sie recht winterhart war – und auch in seiner Heimat frosthart genug. Chaenomeles japonica gibt es wie ihre chinesische Schwester (Ch. Preciosa) seit dem 18. Jahrhundert in Europa. Beide sind seitdem beliebte Gehölze in Parks. Zuchtformen der japanischen Art, von denen es Dutzende gibt, sind so pflegeleicht, dass sie neuerdings auch als sogenanntes Straßenbegleitgrün verwendet werden. Sie sind sogar „industriefest“, wie das im Jargon der Gartenämter heißt. Einmal angegangen, wachsen sie praktisch von allein weiter. Manche blühen schon im März. Es gibt tolle Blütenfarben vom vornehmen Weiß über Orange bis Dunkelrot.

Die japanische Zierquitte wird nur etwa anderthalb Meter hoch, im Gegensatz zu ihrer chinesischen Schwester, die es auf gut drei Meter schafft. Beide können problemlos als Hecken beschnitten werden. Zierquitten sind botanisch gesehen Apfelfrüchte und haben nix zu tun mit den echten Quitten, die schon von den alten Griechen und Römern kultiviert wurden. In Portugal heißen sie Marmelo, daher unser Wort Marmelade.

Mit den echten haben die Zierquitten nur die Form ihrer allerdings kleineren Früchte gemeinsam. Vitaminreich sind beide – nur die Zierquitten sind schwer zu ernten wegen ihrer stacheligen Zweige. Albert Tics hat so lange getüftelt und gekreuzt, bis er eine Zierquitte ohne Stacheln hatte, aber mit der gleichen Winterhärte wie ihre Eltern. Dazu blüht seine Lettische Quitte erst im Mai und Juni, weitgehend sicher vor Spätfrösten. Winterhart ist seine Züchtung allemal. Schauen Sie mal auf die Wetterkarten im TV. Lettland liegt immerhin, von uns aus gesehen, hinter Polen. Strenge Winter sind da vorbestimmt. Das heißt: Bei uns sind sie dann auch winterhart – und mit ihren wunderschönen rot bis orange leuchtenden Blüten eine Alternative für kleine Gärten in der Stadt.

Selbstredend hat Albert Tics auch sein eigentliches Züchterziel erreicht. Die etwa fünf bis sechs Zentimeter dicken Früchte, die um September und Oktober reif sind und vor dem ersten Frost geerntet werden, sind Vitamin-Bomben. Sie heißen auch „Zitronen des Nordens“ und haben doppelt so viel Vitamin C wie die Südfrucht. In Lettland gibt es heute noch Plantagen von „Cido“, wie bei uns von Obstbäumen. Um die Früchte roh zu essen, sind sie zu hart, zu holzig und zu sauer. Aber sie eignen sich vorzüglich für Säfte, Gelees und Marmeladen. Wem das zu viel Arbeit ist, legt sie im Winter einfach in die Obstschale. Mit ihrem tollen Aroma füllen sie jeden Raum.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth