Das Massensterben der Insekten hat inzwischen solche Ausmaße erreicht, dass in Deutschland gar nicht mehr alle Pflanzungen bestäubt werden können

Früher war nicht alles besser. Aber früher waren mehr Bienen. Das war meiner Frau Anke und mir nicht gleich aufgefallen. Gut, unser Apfelbaum, eine Gold-Parmäne, hatte in den vergangenen Jahren immer weniger getragen.

Mal war das Frühjahr zu kalt, mal hatte es späte Fröste gegeben. Glaubten wir – und die Bauern in unserem Dorf im Wendland dachten auch so. Also hatte ich einen Fachmann für Obstbaumschnitt angeheuert, gedüngt und gewässert. Was man halt so macht als Gärtner, um dem Ertrag auf die Sprünge zu helfen.

Ich hätte schon früher was merken müssen. So zum Beispiel, als ich vor drei, vier Jahren die feinmaschigen Drahthauben in der Remise wiederentdeckte. Letzteres ist ein Hofgebäude, das wir etwas großspurig so nennen. In Wirklichkeit ist es ein fester Schuppen, den wir als Garage, Mini-Werkstatt und zum Unterstellen von Gartengeräten und -möbeln nutzen. Diese Halbkugeln aus Draht waren „früher“ ganz wichtig gewesen – bei der sommerlichen Gartentafel in unserem kleinen Mühlenpark schützten sie Kuchen und Marmeladen vor Bienen und Wespen, die sich nur zu gern auf alles stürzten, was süß war. Und natürlich auch auf uns, wenn wir sie reflexartig verscheuchen wollten, was die Biester nur noch angriffslustiger machte.

Als ich neulich meinen Nachbarn Wilhelm, einen erfahrenen Landwirt, auf meine Sorgen mit Apfel, Kirsche und Co. ansprach, meinte der nur: „Ich kenne einen Bauern ein paar Dörfer weiter, der hat sich einen eigenen Bienenstock zugelegt.“ Seine Begründung: „Meine Familie hat seit Generationen eine wunderbare Obstwiese. Die blüht zwar schön, aber ich will auch wieder ordentlich Äpfel und Birnen ernten.“

Na gut, ich hatte natürlich auch vom Bienensterben gehört. In Kalifornien etwa, wo sie jedes Jahr Bienenstöcke von weither herankarren müssen, um die riesigen Plantagen zu bestäuben. In Chinas riesigen Anbaugebieten versuchen die Menschen schon, die Gehölze von Hand zu bestäuben. Ursache für das Bienensterben, so hatte ich gelernt, war eine Milbe, die die Insekten mit einem tödlichen Virus infiziert. Aber bei uns, in unserem Wendland mit der waldreichen Göhrde und dem riesigen Naturschutzgebiet Elbtal-Aue?

Das Bienensterben hat nicht nur Deutschland erreicht, es wütete geradezu bei uns. In Deutschland, Großbritannien, Italien und Frankreich gab es nach einer 2014 veröffentlichten Studie der englischen Universität Reading nicht mehr genügend Bienen, um alle Pflanzungen korrekt zu bestäuben. Die Lage hat sich nach Angaben der deutschen Imker danach noch einmal dramatisch verschärft. Allein in diesem Winter hat es jede dritte deutsche Biene dahingerafft.

Der dramatische Bienen-Engpass hat sogar schon zu einer neuen Form von Kriminalität geführt. Die Polizei in Detmold und Düsseldorf vermutet schon organisierte Banden hinter dem verbreiteten Klau von ganzen Bienenstöcken. Im Landkreis Stade gab es mehrere Fälle, besonders dreist war der Einbruch bei der Obstbau-Versuchsanstalt in Jork.

Als Hauptursache gilt immer noch die Varroa-Milbe, die sich vom Blut der Immen ernährt und sie zusätzlich mit krankmachenden Viren infiziert. Doch die Milben gab es immer schon. Offenbar, das ergeben neuere Studien, ist es heute so, dass das Immunsystem der Insekten so geschwächt ist, dass sie den Milben-Attacken nichts entgegensetzen können. Ins Visier der Forscher ist eine Reihe von Pflanzenschutzmitteln geraten, welche die sogenannten Neo­ni­cotinoide enthalten. Die lassen Bienen, Wespen und auch Hummeln entweder direkt sterben oder führen indirekt zu ihrem Tod. Etwa, indem die Gifte die Insekten faul machen und an der Nektarsuche hindern. Manche zeigen Spuren von dem, was wir bei Menschen Demenz nennen. Brechen Bienen zur Futtersuche auf, „vergessen“ sie den Rückweg und verenden.

Britische und irische Forscher haben erst kürzlich herausgefunden, dass Neonicotinoide im Nervensystem von Bienen die gleichen Mechanismen auslösen wie Nikotin beim Menschen – also als Droge. Dass Insekten auf natürliches Nikotin fliegen, das in einigen Pflanzen enthalten ist, war schon länger bekannt.

Die EU-Kommission hat in einem ersten Schritt den Verkauf von speziellen Insektiziden mit Neonicotinoiden 2013 für zwei Jahre für den Einsatz zum Beispiel bei Raps, Sonnenblumen und Mais ausgesetzt. Dagegen klagt, natürlich, die Industrie. In unserem Mühlenpark verwenden wir grundsätzlich nur natürliche Pflanzenschutzmittel, weil das Nikotin-Zeugs auch in einigen Mitteln für den Ziergarten enthalten ist. „Chemie“, da ist meine Frau Anke ganz kategorisch, „kommt uns nicht ins Haus.“

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth