Unkraut und Gestrüpp wuchern im öffentlichen Grün. Warum zahlt der Senat nicht Pflanzzuschüsse an Bürger?

Ich kann es nicht mehr hören. „Guten Morgen, Hamburg, du schönste Stadt der Welt.“ So begrüßt ein Privatsender jeden Tag seine Hörer. Diese Grundmelodie haben fast alle Medien der Stadt drauf – und wer auch nur leise zweifelt, kommt leicht in den Geruch des Nestbeschmutzers, so wie es schon fast als unpatriotisch galt, auf den Niedergang des HSV hinzuweisen. „Kümmert sich bei euch niemand darum?“, wunderten sich neulich Freunde aus dem Süddeutschen beim Anblick von Gestrüpp und Unkraut an Straßenrändern. Mit dem Unkraut ist es wie mit dem HSV. Die Hansestadt denkt lieber an eine Olympiabewerbung. Und die Fußballer spielen nicht gegen den Abstieg, sondern in zwei Jahren in der Champions League. Mindestens.

„Man muss sich ja fast schämen“, sagte ich zu meiner Frau Anke, als unsere Bekannten wieder abgereist waren. Ich hatte denen was von der „schlafenden Schönheit“ erzählt, wie Helmut Schmidt mal seine Vaterstadt genannt hatte. Hamburg werde jetzt wieder „ordentlich regiert“, wie Bürgermeister Olaf Scholz versprochen hatte. „Ordentlich sieht anders“, sagten unsere Freunde angesichts wuchernder Brennnesseln am Straßenrand.

Eine kleine Studie, die der Bezirk Altona erstellt hat, zeigt eindrucksvoll, woran es hapert. Mein Kollege Axel Tiedemann hat dankenswerterweise über das Zahlenwerk im Abendblatt berichtet. Danach lässt sich der Bezirk die Pflege eines Quadratmeters seiner Grünanlagen und Parks 83 Cent kosten. In anderen Städten Deutschlands sind das im Schnitt 1,23 Euro. In Karlsruhe sogar 2,20 Euro – und dort sieht man sich nicht als Metropole, die mit Barcelona oder Florenz um die Bedeutung in der Welt wetteifert. Bei zwei Euro liegen auch bundesweit die Aufwendungen für die Pflege des sogenannten Begleitgrüns, also von Bäumen und Büschen am Straßenrand oder Mittelstreifen. Die Schuld trifft weder Altona noch Wandsbek, Eimsbüttel oder Nord, die Stadt teilt den Bezirken das Geld zu.

Man kann nur darüber spekulieren, woher dieses Desinteresse bei den Politikern oder Behörden kommt. Sind in Hamburgs Behörden die 68er-Anhänger des niederländischen Architekten und Ökologen Louis le Roy (1924–2012) auf ihrem Marsch durch die Institutionen an die Schaltstellen der Macht gelangt? Der Mann wollte am liebsten überall Biotope entstehen lassen. Ökologisch, und da bin ich mit Jürgen Dahl (1929–2001) einig, einem anderen grünen Vordenker, muss aber nicht immer auch paradiesisch sein. Der Mensch, das ist seine kulturelle Leistung, darf schon ordnend eingreifen. Manchmal glaube ich an den Sieg der Le-Roy-Anhänger, wenn etwa Brennnessel-Kolonien in der Innenstadt mit dem Hinweis verteidigt werden, das seien Biotope. Das seien auch keine Unkräuter, sondern Wildkräuter und wertvolle Stickstoffanzeiger. Ich will hier nicht auf die arme Brennnessel einhacken. Aber was sagt mir das, dass es in der Innenstadt stickstoffreiche Böden gibt mit Pflanzen, aus denen man sogar leckeren Salat machen könnte? Das kann ja in seinem Garten jeder halten, wie er will. Ich warne nur davor, Brennnesseln zu essen, die an viel befahrenen Straßen wachsen.

Vielleicht verzichtet der Senat auf den Bau einiger ohnehin umstrittener Kreisverkehre und legt ein Programm auf, wo Bürger einen Pflanzzuschuss bekommen, wenn sie sich um die Grünflächen vor ihrer Haustür kümmern. Wenn meine Frau Anke und ich nicht gerade auf unserer kleinen Mühle im Wendland sind, leben wir in einer kleinen Wohnung in der Neustadt. Dort gibt es schon einige Bürger, die selbst Hand anlegen. Einen der schönsten „Vorgärten“ pflegt übrigens die Frau eines ehemaligen Senators. In der Straße machen das einige schon genauso. Ein paar Fußminuten weiter am Großneumarkt wuchert vor der Filiale eines bekannten Hamburger Geldinstituts gerade wieder eine solche Grünfläche zu, während dahinter in den Schaukästen für den Kauf von Wohnungen mit tollem Straßengrün geworben wird. Im Winter habe ich auf einer Veranstaltung einen Repräsentanten der Bank darauf angesprochen. Man sei dafür nicht zuständig, hieß es, man wolle sich aber kümmern. Im Moment sieht’s wieder aus wie bei Hempels unterm Sofa.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth

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