Schmackhaft und dekorativ: Obst von Topfbäumen ist keine Modeerscheinung. Schon 1884 glänzten Hamburger Züchter damit auf einer Gartenschau

„Vergewaltigung von Bäumen“ war mein erster Gedanke. Dann fiel mir noch ein: „Ein neuer Trick der Gartenindustrie, um an unser Geld zu kommen.“ Mit diesen Worten schob ich meiner Frau Anke einen Verkaufsprospekt eines bundesweit tätigen Versandhändlers über den Tisch zu. Es ging um Obstbäume in Töpfen. Apfel-, Kirsch- oder Birnbäume zum Beispiel, die auf Säulenform gezüchtet, regelmäßig beschnitten und so nicht größer als etwa zwei bis drei Meter hoch werden sollen. „Warum eigentlich nicht?“, fragte Anke nach einer Weile und gab mir den Katalog zurück: „Die Leute züchten doch auch Tomaten und Gewürze auf dem Balkon. Die haben nicht alle einen so großen Garten wie wir in unserem Mühlenpark im Wendland.“

Nun gut, auch ich beschneide Ziersträucher zu Hecken und gebe zum Beispiel Buchsbaum und Eibe Formen wie Kugel oder Kegel, weil ich das schön finde. Und ist etwa das Einkürzen von Weiden zu sogenannten Kopfweiden nicht auch eine alte Kulturform, um Ruten zu ernten? Ich wäre sogar ökologisch damit auf der richtigen Seite, weil gerade alte Kopfweiden Vögeln und Käfern Nahrung und Heimstatt bieten, sie deswegen sogar geschützt sind.

Sicherlich sind Kopfbäume „vergewaltigte Bäume“, weil sie nicht ihrer ursprünglichen Wuchsform folgen können und die Natur so einem Zweck dienstbar gemacht werden. Aber ist das so schlimm? Die Wiener Gartenzeitschrift „Illustrierte Flora“ empfiehlt schon im 19.Jahrhundert Menschen, die als „Beamte in steinernen Häusermeeren ihr Leben aufbringen müssen“, ein Topfbäumchen, damit sie wieder einen innigeren Zugang zur Natur bekämen. Damals waren Topfbäume schon länger in Mode – nicht nur in den Orangerien der Preußenkönige im Potsdamer Sanssouci, sondern auch in bürgerlichen Gärten.

Hamburg war nachgerade eine Hochburg dieser Kulturform, wie es in einer österreichischen Fachzeitschrift für Obstbau am 1.Mai 1884 heißt. In einem Bericht über eine Gartenbauausstellung in der Hansestadt werden die Topfbäume der Reederfamilie Sloman gelobt, speziell die heute fast vergessene Birnensorte „Pitmaston Duchesse“. Stars der Ausstellung waren auch Topfbäume der Familien Wesselhöft aus Teufelsbrück und Hesse aus Pöseldorf mit Sorten wie „Parkers Pepping“, aber auch die heute noch beliebte Williams Christbirne.

Ich gebe gerne zu, dass ich beim Recherchieren einer Gartenkolumne deutlich schlauer werde. Ich bin geradezu überwältigt von der Sortenvielfalt der Topfbäume, die heute angeboten werden. Am beliebtesten und wohl auch am besten geeignet sind Apfel und Birne für die Aufzucht und Ernte in Töpfen, wie mir Experten versichern. Aber auch Kirschen, Stachel- und Johannisbeere lassen sich bei entsprechend guter Pflege nahezu problemlos auf Balkonen und Terrassen züchten.

Wichtig ist – je nach Art und Sorte – ein sonniger oder höchstens halbschattiger Stand in einem ausreichend großen Topf – also mindestens einem 30- bis 40-Liter-Gefäß. Wie alle Gehölze in Kübeln brauchen auch Topfbäume regelmäßig Wasser – im Sommer muss jeden Tag gegossen werden. Der schmale Wuchs ist das Ergebnis von Züchtung und regelmäßigem Schnitt. Der ist aber relativ unkompliziert. In der Regel müssen im Sommer lediglich längere Triebe auf eine gute Fingerlänge gekürzt werden. Empfehlenswert sind selbstfruchtende Sorten, die keine – wie etwa bei Äpfeln üblich – geeignete Befruchtersorte in der Nähe brauchen. Schließlich wollen Sie sicherlich nicht nur ein dekorativ blühendes Gehölz, sondern auch die Früchte Ihres Gärtnereifers genießen. Und die schmecken am besten frisch vom Stamm.

Balkonobst auf kleinstem Raum kann „uralt“ werden. Die Lebenserwartung hängt von der Topfgröße und der Statik des Balkons ab. Etwa alle fünf Jahre müssen die Gehölze in den nächstgrößeren Topf umgepflanzt werden. Der kann ganz schön schwer werden – besonders wenn Sie ihn am Boden mit einer Schicht Kieselsteine beschweren. Das gibt nicht nur eine ordentliche Drainage gegen Staunässe, sondern ist auch gut für die Standfestigkeit. Nicht nur auf den oberen Etagen weht auf den Balkonen manchmal ein heftiger Wind.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst

Ihr Karl Günther Barth

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