Vor dem Frost oder danach? Wehe dem, der mit Schere und Säge alle Sträucher und Bäume in seinem Garten über einen Kamm zu scheren versucht.

Gärtnern ist gut für die Seele und den Charakter. Gemeint ist nicht die romantische Schwärmerei vom Einklang mit der Natur, dem Leben mit den vier Jahreszeiten - und welche Lieder da heutzutage noch von entrückten Lifestyle-Autoren gesungen werden. Natürlich ist da was dran, aber bleiben wir mal bei den Jahreszeiten. Die dauern halt ein Jahr, und in diesem Zeitraum müssen Sträucher gepflanzt, gepflegt, gegossen, gedüngt werden. Und wachsen sollen sie auch noch. Immerhin: Eine Pappel schafft mit viel Wasser und Dünger im zweiten, dritten Jahr bis zu zwei Meter. Eine Eiche 30 bis 50, und der Buchsbaum vielleicht zehn bis 15 Zentimeter, wenn man ihn in Form schneidet, wird's deutlich weniger.

Was hat das nun mit Charakter zu tun? Ganz einfach: Ob man einen Balkon, eine Terrasse, einen Reihenhausgarten oder, wie meine Frau und ich, ein ziemlich großes Grundstück hat, das zunächst aus ein paar alten Bäumen, Wiesen, Brachland und Acker bestand - man braucht Geduld. Sie ist die Königsdisziplin des Gärtners, Demut vor der Natur ihre Schwester. Ungeduld ist die Mutter aller Anfängerfehler.

Daran musste ich am letzten Wochenende denken, als ich einige dicke Äste einer Birke absägte, die einer kleinen Rosengruppe das Sonnenlicht wegzunehmen drohten. Beschneiden im November, werden jetzt einige die Stirn runzeln - wartet man da nicht bis zum Februar nach dem Frost? Oder greift man nicht schon im Spätsommer zur Astsäge? Stimmt alles, und eigentlich ist fast ganzjährig Schnittzeit. Zum Beispiel schneidet man Kirschbäume am besten direkt nach der Ernte, also je nach Sorte etwa im Juli.

Birkenschneiden im November, dazu hat mir ein alteingesessener Gärtner im Wendland geraten. Denn zu dem Zeitpunkt, meint er, ist bei der Birke Stillstand. Die Blätter sind weg, sie nimmt kein Wasser mehr auf und pumpt es nicht mehr bis in die letzten Spitzen. Ein ewiger Kreislauf. Im Frühling kommt das Wassersystem nicht nur der Birken auf Hochtouren, damit Blätter, Blüten und neue Triebe entstehen können. Die Birke soll angeblich sogar so viel Wasser pumpen, dass man es mit feinem Ohr rauschen hören kann.

Im Herbst und Winter kommt das Pumpsystem mehr oder weniger zum Stillstand. Außer bei immergrünen Pflanzen, die auch im Winter über ihre Blätter oder Nadeln Wasser verdunsten. Deswegen können die bei lang anhaltender Kälte ein Problem bekommen, weil die Wurzeln bei gefrorenem Boden kein Wasser mehr aufnehmen können.

Aber zurück zu den Birken. Die nach dem Urteil meiner Nachbarn, der Bauern, "bei uns wachsen wie Unkraut". Deswegen hatte ich auch keine Scheu, gleich im zweiten Frühjahr auf dem Land zwei schon etwas ältere Birken kräftig zu entasten. Die hatten nämlich Äste bis fast auf den Boden - und der Nachbarsjunge, der den Rasen mähte, hatte empfohlen: "Die müssen wech. Da komm ich nicht mit dem Mäher drunter wech." Ich werde den Schrecken nicht vergessen, als ich gegen Abend meiner Frau stolz mein Werk vorführte. Da, wo ich die etwa fünf bis sieben Zentimeter dicken Äste abgesägt hatte, tropfte, nein rann das Wasser nur so aus dem Baum. "Die Birken weinen ja", meine Frau sah mich traurig und vorwurfsvoll an. Sie war ja sowieso gegen jede Form des Beschneidens. Noch Jahre später ging sie ins Haus, wenn ich mit Astschere und Säge anrückte.

Ich hatte natürlich auch ein schlechtes Gewissen, holte ein Handtuch, trocknete die Schnittstellen und schmierte Baumbalsam drauf, um die Wunde zu schließen. Extra dick. Am nächsten Morgen war alles weggespült, ich hätte einen Eimer darunter stellen können, um eine eigene Birkinproduktion in Gang zu setzen. Birkenwasser soll ja sogar gegen Haarausfall helfen.

Egal wie - es war mir eine Lehre. Ohne Axt, Säge, Schere würde jeder Garten verwildern. Man muss nur die Regeln beachten, dann wachsen Bäume schöner, Sträucher werden dichter, und Rosen blühen häufiger. Ein Tipp von meinem Wendland-Gärtner: Alle Gehölze, die keinen festen, sondern eine Art Röhrenstamm haben, auf keinen Fall im Herbst schneiden. Also Hortensien etwa, Holunderarten oder auch der Trompetenbaum. Rosen grundsätzlich nur im Frühjahr.

Ich freue mich schon auf Weihnachtssterne und Zaubernüsse. Das ist nichts für Naschkatzen. Da blüht uns was. Herzlichst, Ihr Karl Günther Barth