An Hamburgs Olympiabewerbung scheiden sich die Geister. Im Doppelinterview äußern sich Präses Fritz Horst Melsheimer und Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz auch zu visionären Fragen.

Das 350. Jubiläum der Handelskammer bietet Anlass für eine Zwischenbilanz. Der Präses der Kammer, Fritz Horst Melsheimer, und ihr langjähriger Hauptgeschäftsführer, Hans-Jörg Schmidt-Trenz, blicken im Gespräch mit dem Abendblatt zurück, gehen aber auch auf die aktuellen Herausforderungen der Institution ein.

Hamburger Abendblatt:

Herr Melsheimer, Herr Schmidt-Trenz, vor nunmehr 350 Jahren wurde die Hamburger Handelskammer gegründet. Was waren aus Ihrer Sicht die Sternstunden der langen Kammerarbeit?

Fritz Horst Melsheimer:

Die Handelskammer hat neun unterschiedliche Staatsformen, sieben Kriege und zehn Währungen überdauert. Das kann nur eine Institution, die dazu in der Lage ist, sich ständig selbst zu reformieren und anzupassen. Das war nicht immer einfach. Zur Erinnerung: Früher haben die Kaufleute oft den Bürgermeister gestellt, mit der Einführung des Wahlrechts hat sich das geändert. In ihrer Bedeutung hat die Kammer aber nicht verloren. Diese Fähigkeit zur Erneuerung ist aus meiner Sicht hervorzuheben.

Hans-Jörg Schmidt-Trenz:

Historisch hat die Kammer eigentlich immer in den für Hamburg existenziellen Situationen ihre Sternstunden gehabt. Das beginnt mit ihrer Gründung: Die Kaufleute haben sich vor 350 Jahren zusammengeschlossen, um der akuten Piratenbedrohung zu begegnen, die Hamburgs Handel existenziell gefährdete. Dann sei an die französische Besatzungszeit erinnert: Durch die Kontinentalsperre war der Handel praktisch zum Erliegen gekommen. Die Kaufmannschaft sorgte mit hohen Zahlungen an die Franzosen dafür, dass das Embargo wieder aufgehoben wurde. Schließlich hat die Handelskammer 1945 eine bedeutende Rolle gespielt, um die Wirtschaft im zum Großteil zerstörten Hamburg wieder zum Laufen zu bringen.

Sehen Sie beim Blick in die Geschichte auch Schatten?

Melsheimer:

Natürlich muss in diesem Zusammenhang die Nazizeit genannt werden, in der die Handelskammer ziemlich rasch gleichgeschaltet wurde. Wir haben zu unserer 350-Jahr-Feier extra ein Buchprojekt in Auftrag gegeben, das die Geschichte der Handelskammer in dieser Zeit gesondert unter die Lupe nimmt. Es wird am 19. März erscheinen.

Welche Bedeutung hat die Kammer aus Ihrer Sicht heute für Hamburg?

Melsheimer:

Die Handelskammer ist nach wie vor das zentrale Organ zur Selbstverwaltung der Hamburger Wirtschaft, und sie ist eine für die Hansestadt unverzichtbare Institution. An herausragender Stelle steht hierbei die duale Berufsausbildung, die in Hamburg so hervorragend funktioniert, dass sie andernorts kopiert wird. Hier nimmt die Kammer wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgaben war, etwa durch unsere eigene Hochschule Hamburg School of Business Administration. An zweiter Stelle steht die Politikberatung. Kaum eine Behörde in Hamburg hat so hervorragendes wissenschaftlich geschultes Personal, um schwierige Fragestellungen zu erörtern wie die Kammer. Wir beraten den Senat – und ich muss sagen das läuft derzeit sehr vertrauensvoll. Gleichgewichtig zur Politikberatung ist unsere Servicearbeit als Dienstleister für die Hamburger Unternehmen zu nennen. Von der Existenzgründung bis zur Hilfe bei der Suche nach Unternehmensnachfolgen gibt es bei uns ein breites Angebot.

Wie ist Ihr Verhältnis zur derzeitigen Regierung in Hamburg?

Melsheimer:

Unsere Zusammenarbeit ist sehr vertrauensvoll und konstruktiv.

Hängt das damit zusammen, dass der Wirtschaftssenator Ihr Vorgänger als Präses der Kammer ist?

Melsheimer:

Das ist zumindest kein Nachteil. Denn er kennt ja die Themen, die die Hamburger Wirtschaft bewegen, sehr genau.

Hat sich das Verhältnis zum Senat gewandelt? War es früher schwieriger?

Schmidt-Trenz:

Die Handelskammer ist immer auf eine gute Zusammenarbeit mit allen Senaten aus. Allerdings war deren Fähigkeit zum Zuhören unterschiedlich stark ausgeprägt. Olaf Scholz und sein Vorvorgänger Ole von Beust verfügen hingegen über diese Tugend – und sie nehmen Ratschläge der Kammer gerne an, wenn sie die Stadt als Ganzes voranbringen.

Der Vorsitzende des Industrieverbands, Michael Westhagemann, hat eine Wahlempfehlung abgegeben und wünscht sich, dass die SPD-Alleinregierung nach der Bürgerschaftswahl weitermachen kann. Sehen Sie das ähnlich?

Melsheimer:

Das entscheidet der Wähler. Die Kammer hält sich mit Wahlempfehlungen zurück. Sie muss mit allen Regierungskonstellationen zurechtkommen.

Schmidt-Trenz:

Wir sagen aber auch, dass sich der Wähler bei seiner Entscheidung an einer Frage orientieren sollte: Wer sichert und schafft Arbeitsplätze? Klopfen Sie doch die Haltung der Parteien auf die zentralen Themen der Wirtschaft ab: Elbvertiefung, Gewerbeflächen, Technologieparks. Dann ist eigentlich klar, wer Arbeitsplätze schafft und wer nicht.

Und wie stehen sie zur AfD?

Melsheimer:

(zögert): Ich bin nicht der Meinung, dass diese Partei zu den Werttreibern in Hamburg gehört.

Schmidt-Trenz:

Das Erstarken der AfD ist ein Reflex auf Versäumnisse der etablierten Parteien. Das ist aber kein Hamburger Thema. Nur wenn es durch Reformen gelingt, Europa auf einen stabilen Wachstumspfad zu führen, können wir Europa wieder in die Herzen der Menschen bringen.

Ein akutes Problem ist die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Melsheimer:

Wir können sicher bei der Integration in den Arbeitsmarkt behilflich sein. Allerdings muss man bedenken, dass viele Flüchtlinge nur vorübergehend in Deutschland sind. Wir müssen dafür sorgen, dass die Eingliederung von Flüchtlingen in unser Gemeinwesen möglichst reibungslos funktioniert.

Schmidt-Trenz:

Viele Flüchtlinge sind gut ausgebildete, qualifizierte Fachkräfte, die in unseren Betrieben willkommen sind. Hier wollen wir versuchen, dass möglichst unbürokratisch und schnell Vermittlungen erfolgen. Grundlage dafür ist die IHK FOSA (Foreign Skills Approval). Sie ist das bundesweite Kompetenzzentrum der deutschen Industrie- und Handelskammern für die Prüfung und Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Sie nimmt Anträge auf Anerkennung entgegen und prüft, inwieweit die ausländischen Abschlüsse mit entsprechenden deutschen Qualifikationen als gleichwertig eingestuft werden können. Zudem werden wir in der Kammer eine eigene Abteilung zur Betreuung von Gründern und Unternehmen mit Migrationshintergrund aufbauen. Da geht es vor allem darum, diese Unternehmen näher an das Wirtschaftsleben der Stadt zu rücken. Betriebe, die von Menschen mit Migrationshintergrund geleitet werden, scheuen manchmal beispielsweise die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, weil sie sich vor bürokratischen Hemmnissen fürchten. Da kann die neue Stelle Vorurteile abbauen.

Was sind die wichtigsten Vorhaben der Kammer für die nahe Zukunft?

Melsheimer:

An erster Stelle steht der Ausbau der Infrastruktur. Wenn wir uns als Gesamtgesellschaft dieses Themas nicht schnell annehmen, dann droht ein Verkehrsinfarkt. Zweitens müssen wir Hamburg als Wissenschaftsstandort stärken. Wir brauchen mehr Lehrstühle, die auf unsere Cluster ausgerichtet sind, um mehr praxisnahe Forschung zu initiieren. Wirtschaft und Hochschulen müssen noch enger aneinanderrücken, die Exzellenzforschung muss weiter ausgebaut werden. Dazu muss Geld in die Hand genommen werden. Wir brauchen sichtbare Leuchttürme der Wissenschaft wie zum Beispiel das Desy – oder auch auf dem Feld der Gesundheitswirtschaft. Wir haben am Universitätsklinikum das einzige onkologische Spitzenzentrum in ganz Norddeutschland. Da ergeben sich übrigens auch Ansatzpunkte für unsere Unternehmen. 500.000 Menschen erkranken hierzulande jedes Jahr an Krebs. Davon steht die Hälfte noch mitten im Berufsleben. Es müssen beispielsweise Therapieformen entwickelt werden, mit denen es gelingt, diese Betroffenen auch nach teils mehrjähriger Rekonvaleszenz wieder in das Arbeitsleben zu integrieren. Und das führt mich zum dritten Punkt: Von den 70.000 Arbeitslosen in Hamburg sind 35.000 ungelernte Bewerber, die in der Schule oder bei der Ausbildung durchgerutscht sind. Wir müssen uns noch intensiver Gedanken machen, wie wir diese Menschen von der Straße bekommen.

Schmidt-Trenz:

Ein weiteres Thema ist die digitale Revolution, die das gesamte Wirtschaftsleben umkrempeln wird und von unseren Mitgliedsbetrieben einen hohen Grad an Innovation und Anpassung verlangt. Und schließlich die Olympia-Bewerbung, die entscheidenden Einfluss darauf haben wird, wohin Hamburg sich entwickelt.

Was heißt das konkret?

Melsheimer:

Die Frage ist doch, in welcher Liga Hamburg künftig spielen will. Entweder als mittelgroße Hafenstadt ohne besondere Bedeutung oder als Metropole von Weltrang.

Muss Hamburg denn unbedingt in die erste Liga? Eine Nummer kleiner, aber dafür schnell und wendig ist doch auch nicht schlecht.

Melsheimer:

Nichts gegen schnell und wendig. Das wäre aber nicht die Alternative, vielmehr würde Stillstand drohen. Wer Investitionen realisieren will, benötigt große Zukunftsprojekte. Und ich kenne kein Projekt, das Visionen so wunderbar aufgreifen und transportieren kann wie Olympia als strategisches Ziel.

Schmidt-Trenz:

Wir beklagen in der Verteilung der Wirtschaftskraft in Deutschland immer das Nord-Süd-Gefälle. Olympische Spiele in Hamburg sind eine einmalige Möglichkeit, um notwendige Investitionen in den Norden lenken zu können.

Die vergangenen Monate waren für die Handelskammer intern nicht einfach. Kritiker werfen ihr Intransparenz vor – zu Recht?

Melsheimer:

Nein. Wir haben vieles geändert – sogar ein eigenes Transparenzportal eingerichtet. Die Diskussion, die von einigen vorangetrieben wird, konzentriert sich doch inzwischen auf zwei Fragen: die Bekanntgabe des Ergebnisses der Wahlen zum Präsidium und das Gehalt des Hauptgeschäftsführers. Wir haben das Wahlergebnis aus einem guten Grund in der Vergangenheit nicht veröffentlicht: weil die Unternehmer nämlich selbst nicht wollten, dass ihr Abschneiden bei ihren Mitarbeitern bekannt wird. Ich kann das sehr gut verstehen. Um aber jeder weiteren Diskussion vorzubeugen, kündige ich an, dass wir das Wahlergebnis bald veröffentlichen werden. Wir haben im Präsidium darüber gesprochen, und alle Mitglieder haben sich dazu bereit erklärt. Allerdings muss das Kammerplenum dazu erst die Satzung ändern. Auch die Frage nach der Veröffentlichung des Gehalts des Hauptgeschäftsführers ist beantwortet. Wir werden es in Abstimmung mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag zu gegebener Zeit veröffentlichen.