An der Universität Hamburg arbeiten junge Forscher an spannenden Projekten. Drei von ihnen stellt Marlies Fischer vor

Das Büro von Kerstin Poehls im Westflügel des Uni-Hauptgebäudes wirkt noch nüchtern und sachlich. Die 35-Jährige ist erst seit einem Jahr hier. Am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie lehrt sie als Juniorprofessorin. „An der Uni bin ich angekommen, in Hamburg bin ich immer noch dabei, zu staunen und zu entdecken“, sagt die Wissenschaftlerin, die aber schon auf der Alster segelt und im Chor der St. Pauli Kirche singt. „Und dabei dachte ich als Schleswig-Holsteinerin eigentlich, dass ich Hamburg ganz gut kenne.“

Kerstin Poehls wuchs in Nortorf auf und ging in Rendsburg zur Schule. „Nach dem Abitur 1997 wollte ich ganz weit weg und in eine typische Studentenstadt.“ Die Wahl fiel auf Tübingen, Poehls schrieb sich für Europäische Ethnologie, Skandinavistik und BWL ein. 1999 lockte für ein Jahr Stockholm. „Und danach hatte mich das Großstadt-Virus erfasst.“ Die Studentin wechselte nach Berlin an die Humboldt-Universität, machte dort ihren Magister-Abschluss und promovierte 2007.

Ihre Doktorarbeit schrieb Kerstin Poehls über das „College of Europe“ mit Sitz im belgischen Brügge und im Warschauer Vorort Natolin. Das Kolleg gilt als Kaderschmiede für die Europäische Union. „Am Kolleg wird der Gedanke an Elite und Korpsgeist gepflegt“, sagt Kerstin Poehls. „Ich wollte wissen, welche Vorstellungen von Europa dort entwickelt und dann in die europäischen Institutionen hineingetragen werden. Und mich interessierte die Frage, wie man zum Beispiel als Schwede ins Kolleg kommt, dort zum Europäer wird und trotzdem Schwede bleibt.“

Zwischendurch organisierte Kerstin Poehls Ausstellungen sowie Film- und Literaturveranstaltungen als Kulturreferentin der Schwedischen Botschaft in Berlin. Dann kehrte sie in den Wissenschaftsbetrieb und einmal mehr zum Thema Europa zurück. Besonders der Aspekt Migration interessiert die Kulturanthropologin. „Wie setzt man dieses Thema in Ausstellungen um?“, fragt Kerstin Poehls. „Und wie werden europäische Grenzen in Museen dargestellt? Europa ist maßgeblich durch Migration geprägt.“

Die Wissenschaftlerin nennt Ellis Island vor Manhattan als „Urmutter“ der Museen für Ein- und Auswanderung, verweist auf die BallinStadt in Hamburg und das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven. Das Jahr 2011 verbrachte Kerstin Poehls auf der griechischen Insel Lesbos an der Universität der Ägäis. „Dort ist Migration allgegenwärtig, denn regelmäßig landen die Boote mit Flüchtlingen an.“

Nach Lehraufträgen in Trondheim und Göttingen kam die Juniorprofessur in Hamburg gerade recht. Dieser Titel wurde eingeführt, um jungen Wissenschaftlern mit herausragender Promotion ohne die bisher übliche Habilitation direkt unabhängige Forschung und Lehre an Hochschulen zu ermöglichen und sie für die Berufung auf eine Lebenszeitprofessur zu qualifizieren.

Im Wintersemester bietet Kerstin Poehls einen Einführungskursus für Master-Studierende an und setzt das Seminar „Europolis“ fort. „Es geht darum, wo Europa in Hamburg zu finden und auszumachen ist, zum Beispiel in der HafenCity oder im Portugiesenviertel.“ Mit 17 Studierenden erarbeitet sie das Thema, darunter Teilnehmer aus Dänemark, Spanien und Indonesien.

Und dann hat die Juniorprofessorin sich noch ein ganz Hamburg-typisches Forschungsprojekt ausgesucht: Warenströme im Hafen am Beispiel von nordgriechischem Tabak. „Ausgangspunkt ist eine berühmte Ernte von 1923, nach der sogar eine Zigarettenmarke benannt wurde, Ernte23 von Reemtsma“, sagt die Wissenschaftlerin. Sie hat eine Liste mit den Namen griechischer Geschäftsleute, die in den 20er-Jahren in Hamburg tätig waren. „Wie haben die hier gelebt, gehandelt, gearbeitet? Es gab damals sogar schon ein griechisches Restaurant.“

Den Blick auf den Hafen genießt Kerstin Poehls gerne und oft. „Beim Radfahren zieht es mich immer wieder zum Altonaer Balkon, um Schiffe und Wasser zu gucken.“ Und so schließt sich der Kreis zwischen den Lebens- und Arbeitswelten der Juniorprofessorin.