mit Propst Johann Hinrich Claussen über die Ratlosigkeit vor der Bundestagswahl

Früher, in der guten, alten, schlechten Zeit, pflegten manche Kirchenoberen ihren Kirchenunteren vor Wahlen zu empfehlen, wo sie ihr Kreuz machen sollten. Das ist dankenswerterweise aus der Mode gekommen. Weshalb ich an dieser Stelle niemandem sagen möchte, was er wählen soll. Hübsch aber ist, dass manche Parteien zumindest optisch die Nähe zur Kirche suchen. Eine Volkspartei (ohne C) etwa warb mit einem Plakat, auf dem nur ein riesiger Kirchturm zu sehen war – so als hieße der Spitzenkandidat „Michel“ und nicht etwa „Peer“. Auch der Kandidat einer kleineren Partei (ebenfalls ohne C), die ansonsten nachdrücklich die Trennung von Staat und Kirche einfordert (obwohl es diese längst gibt), ließ sich mit einem allerdings zart weichgezeichneten Michel im Hintergrund ablichten.

Mich lockt solch plakative Kirchenfreundlichkeit allerdings nicht aus meiner tiefen Ratlosigkeit hervor. Hier sitze ich und weiß nicht, was ich wählen soll. Dabei würde ich so gern. Es ist doch meine staatsbürgerliche Pflicht. Außerdem habe ich vor vielen Politikern echten Respekt. Ich würde auch ungern mit ihnen tauschen. Aber wohin nun mit meinem Kreuz? Die unprogrammatischen Programme der Parteien helfen mir kaum. Auch nach den zu wählenden Personen möchte ich nicht gehen. Manche Bürger sollen ja nach Sympathie wählen. Aber zum Sympathisch-Finden habe ich meine Freunde. Von Politikern möchte ich halbwegs gut regiert werden. Was zugegebenermaßen nicht so leicht ist: Finanzkrise, demografischer Wandel, Energiewende, Gesundheitsreform, Flüchtlingswellen, Weltfrieden... Wenn wir ehrlich wären, müssten wir zugeben, dass niemand dieses Krisengewirr durchblickt oder gar auflösen könnte. Was zuzugeben Politiker sich nicht leisten können, gerade vor Wahlen. Immerzu müssen diese armen Menschen den Eindruck vermitteln, als hätten sie den universalen Durchblick und für alles eine Lösung parat.

Wenn aber einer oder eine käme und sagte: „Die Welt ist groß und komplex. Wie die drängendsten Probleme zu beheben sind, habe ich noch nicht ausgemacht. Aber ich will mich ehrlich an die Arbeit machen und gern beraten lassen“ – also, den oder die würde ich sofort wählen. Oder wäre das jetzt eine illegitime Wahlempfehlung?