In der Jubiläumssaison darf John Neumeiers “Romeo und Julia“ nicht fehlen

Das Ballett ist zum Weinen schön. "Romeo und Julia", 1971 für das Frankfurter Ballett geschaffen, brachte John Neumeier in überarbeiteter Fassung und Jürgen Roses Ausstattung am 6. Januar 1974 zur Hamburg-Premiere. Er tanzte selbst den Romeo. Das hochdramatische Ballett-Theater nach Shakespeares Liebestragödie und die farbenreiche Choreografie wurden zum Anziehungspunkt für mehrere Generationen junger Tänzer und ein Sensationserfolg bei Presse und Publikum.

"Romeo und Julia" markiert in Neumeiers Werk einen Wendepunkt. Jahrelang hatte er in John Crankos Choreografie Graf Paris, den idealen, von den Eltern Julias bestimmten Bräutigam getanzt. In seiner eigenen, so schlüssigen wie groß angelegten Deutung des Stoffes löste er sich endgültig aus dem Schatten des Vorbilds und den Konventionen klassischer Handlungsballette. Er ließ sich durch die literarischen Vorlagen zu Shakespeares Drama und durch dessen Text inspirieren, konzentrierte jedoch die Spielhandlung auf vier Tage um das Fest des San Zeno, des Schutzheiligen von Verona.

Ein kluger Kunstgriff. Denn Tanz ereignet sich im Hier und Jetzt. Anders als Schauspieler auf der Sprechbühne können Protagonisten im Ballett dem Publikum nicht Gedanken über erlebte Vergangenheit oder geplante Zukunft vermitteln. Eine Lösungsmöglichkeit für den Choreografen ist es, eine "optische Kurzschrift" zu entwickeln, wie Neumeier es nennt. Er arbeitet ähnlich wie Prokofjew in seiner Komposition mit Bild- oder Bewegungsmotiven. Beispielsweise benützt er die Sprache der Hände, zeigt die erste scheue Berührung der Liebenden, dann leidenschaftliches Umfassen und verzweifeltes Umklammern bei ihrer Trennung. Die repräsentative und auch repressive Haltung der Gesellschaft signalisieren im Ball-Bild die vor der Brust abgewinkelt gehaltenen Arme mit den spitz gefalteten Händen.

In der psychologischen Charakterisierung der Figuren entwarf der Choreograf zudem eine revolutionäre, am Schauspiel orientierte Dramaturgie, die bereits sein "höchst individuelles, ganz in die Zukunft gerichtetes künstlerisches Programm erkennen" ließ, wie der Ballettkritiker Horst Koegler schrieb. Der Erfolg seiner "Romeo und Julia"-Inszenierung bewirkte letztlich auch Neumeiers Berufung nach Hamburg. Dieses Ballett darf in der 40. Jubiläumssaison nicht fehlen.

"Solange der Choreograf lebt, ist eine Choreografie nicht endgültig", sagt Neumeier. "Sie wird in Zusammenarbeit mit den jeweils neuen Interpreten der Rollen infrage gestellt, neu formuliert." Wichtig bei einer Neueinstudierung sei es, die ursprüngliche Interpretation zu befragen und zu prüfen, ob die vorhandene ihr noch entspricht oder noch getreuer entsprechen könnte. So bewahrt Neumeier dem getanzten Liebesdrama über Jahrzehnte hinweg eine bezaubernde Bühnenfrische und Lebendigkeit, die den Zuschauer immer wieder in ihren Bann schlagen.

"Romeo und Julia" 11.-13., 17.-19.4. sowie 14. 6., jeweils 19.00, Staatsoper, Karten zu 4,- bis 97,- unter T. 35 68 68