Kirchbauten waren früher oft Symbole für den Reichtum der Bürger, aber gleichzeitig boten sie immer Raum für christliches Leben - und sie geben Hamburg ein Gesicht.

Seit Jahrhunderten ragen Kirchen mit ihren Türmen weit in den Hamburger Himmel. Sie sind die Konstanten, an denen sich Einheimische wie Auswärtige orientieren. Sie geben dem Stadtbild auf unverwechselbare Weise Gesicht und Kontur und stiften Identität. Weithin sichtbar zeugen sie von der Anwesenheit christlicher Gemeinden.

Aber die stolzen backsteinernen Kirchtürme wurden nicht nur zu Ehren Gottes erbaut, oft sind sie zugleich Ausdruck bürgerlichen Selbstbewusstseins, Wahrzeichen der Macht und Symbole eines beträchtlichen Reichtums. In einem Vortrag, den der Theologe Fulbert Steffensky auf einer Tagung der EKD-Synode hielt, brachte er die merkwürdige Ambivalenz zur Sprache, von der viele Kirchenbauten geprägt sind. "Unsere Kirchenräume sind in einem Zeugen der Heiligkeit des Geistes und sie sind Zeugen des Verrats", sagte Steffensky und fügte hinzu: "Viele unserer Bauten sind nicht zur Ehre Gottes gebaut. Sie sind manchmal Selbstdarstellungen der Macht. Es gibt Kirchen von brutaler Stimmigkeit, die nicht Zeugen der Schönheit Gottes sind, sondern des geraubten Gutes der Armen. "

Wie Steffensky haben viele Christen Probleme mit Kirchen, die aus dem Geist und der Glaubensauffassung einer anderen Zeit heraus erbaut wurden. Dennoch sollte man mit seinem Urteil behutsam sein. Auch Kirchen, die vordergründig als Verherrlichung von menschlicher Macht erscheinen - und oft tatsächlich auch so gedacht waren -, sind ihrer Aufgabe gerecht geworden, haben über viele Generationen dem Leben der christlichen Gemeinden Raum geboten, mitunter auch ganz anders, als Bauherren und Baumeister es ursprünglich im Sinn gehabt haben mögen. Versetzen wir uns einmal 600 Jahre zurück: Wer Anfang des 15. Jahrhunderts zum Beispiel St. Jacobi besuchte, den umfing keineswegs andachtsvolle Stille. Es ging vielmehr lebhaft und ziemlich laut zu, denn hier spielte sich städtisches Leben ab. Den ganzen Tag über lasen Priester vor den vielen Seitenaltären Messen. Man traf sich, besprach sich, verabredete Geschäfte, Pilger schliefen auf Stroh, dazwischen lärmten Kinder. Gleich daneben fanden Trauernde vor einem Heiligenbild Trost.

300 Jahre später, inzwischen war Hamburg längst lutherisch geworden, versuchte man Kirchenräume zu bauen, die den Bedürfnissen des evangelischen Gottesdienstes Rechnung tragen sollten. Der Hamburger Baumeister Leonhard Christoph Sturm hatte 1712 in einer programmatischen Schrift zum ersten Mal eine protestantische Kirchenbautheorie entwickelt. Danach sollten Kirchen so gebaut werden, dass möglichst viele Menschen den Prediger auf der Kanzel sehen und hören können. Dafür waren helle Zentralräume besonders gut geeignet, in denen man manchmal Kanzel und Altar zum Kanzelaltar zusammenfügte, auf den das Gestühl im Schiff und auf den Emporen ausgerichtet wurde. Die Niendorfer Kirche ist ein solches Beispiel. 100 Jahre später, im Zeitalter der Romantik, empfanden Theologen und Kirchenbaumeister diese Art von Zweckmäßigkeit dagegen als völlig unangebracht. "Die Würde des christlichen Kirchenbaus fordert Anschluss an einen der geschichtlich entwickelten christlichen Baustile", meinten nun die Experten und favorisierten vor allem die Gotik. In den nun erbauten neogotischen Kirchenräumen herrschte eine ehrfürchtige Stille, die es im wirklichen Mittelalter so nie gegeben hatte, die aber der Frömmigkeit und dem Zeitgeist der Romantik entsprach.

Fulbert Steffensky plädiert für "Räume des Schweigens". "Ein Gottesdienst sollte ein karger Raum sein. Erst dieser macht Sprache möglich", meint der Theologe, der die Möglichkeiten kirchlicher Räume damit freilich allzu sehr einschränkt. Denn so wichtig gerade in unserer von Hast, Verunsicherung und Reizüberflutung geprägten Zeit "Räume des Schweigens" sein mögen, so gibt es dennoch auch andere Bedürfnisse und kirchliche "Raum"-Erfahrungen: Ein Gospelgottesdienst in einer mittelalterlichen Dorfkirche kann ebenso zum bereichernden Erlebnis werden wie eine Krippenandacht im prächtigen Innenraum des Michel oder ein Taize-Gottesdienst in einer architektonisch eher nüchternen Nachkriegskirche.

Worauf es ankommt, lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Kirchen sollen Geborgenheit geben und Räume eröffnen, die Gemeinschaft stiften - mit Gott und den Menschen.