Evangelische Gottesdienste finden in Klubräumen statt, die Seelsorge ist ein Schwerpunkt - in der Fremde bietet die Gemeinde Halt.

Fast ein Jahr ist es her. Verabschiedung in Kiel, Verabschiedung von Kollegen, Freunden und Angehörigen. Das Ziel war für mich Shanghai. Ich arbeite hier in einer deutschen Firma als Managementtrainer und Pastor der deutschen ökumenischen Gemeinde in Shanghai. Es ist die einzige ökumenische Auslandsgemeinde der EKD und der Bischofskonferenz. Hier betreue ich eine Gemeinde der sogenannten "Expats", der Expatriates, der Deutschsprachigen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es sind mehr als 8000 in dieser 20-Millionen-Metropole.

Es ist also keine alte Einwanderergemeinde wie in Australien oder Brasilien, es sind keine "Aussteiger" wie in Thailand oder auf Bali, sondern Männer und Frauen in guten Positionen, die für zwei bis vier Jahre in Shanghai arbeiten und leben. Oft sind sie mit ihrer Familie hier.

Doch auch ihnen tut es gut, die bekannten christlichen Feste wahrzunehmen, andere Deutschsprechende zu treffen, denn in den internationalen Firmen spricht man englisch. Die heimische Tradition wird im Ausland wichtiger für die eigene Identität als zu Hause. Die Gottesdienste mit 100 Teilnehmern, der Heiligabend mit mehr als 600 Besuchern und ein Neujahrsempfang mit rund 150 fröhlichen Menschen, mit den Konsuln, einem Clown und selbst gemachter Musik zeugen von der Lebendigkeit der Gemeinde. Ebenso die 24 Konfirmanden und 20 Firmlinge.

Für einen Pastor ist das Gemeindeleben in Shanghai traumhaft. Keine vorherrschende Tradition, Evangelische und Katholische feiern zusammen Gottesdienst. Alle packen mit an, denn es ist "unsere Gemeinde" und nicht die Kirche, die eben von der Kirchensteuer bezahlt wird.

Religion scheint hier ebenso wie die Wirtschaft Konjunktur zu haben. Auch die chinesischen Kirchen wachsen. Religion hat eine besondere Funktion. Denn wir leben in einem wirklich säkularem Umfeld. Unsere Feiertage spielen hier keine Rolle, selbst der Sonntag ist weitgehend ein normaler Arbeitstag.

Da schmiedet die christliche Tradition ganz andere und engere Bündnisse. Trifft man auf chinesische Christen freut man sich und spricht über unterschiedliche Traditionen. Die Chinesischen Kirchen sind voll. Es gibt Gesangbücher, Bibeln und lange Predigten. Und alles auf Chinesisch natürlich. Da kommt mein "Taxi-Chinesisch" nicht mit.

Das Leben hier ist aufregend, doch diese Stadt strengt auch an: Trotz Hupverbots dröhnt ständig der Verkehrslärm, denn die Häuser sind nicht so isoliert gegen Lärm wie bei uns. Die U-Bahnen sind zu Stoßzeiten unglaublich voll, die Beziehungen zum chinesischen Volk sind dann besonders eng. Und natürlich ist die Luft nicht die Beste.

Der Druck auf die deutschen "Expats" ist groß: Kann ich meiner Aufgabe entsprechen? Schaff ich, was die Mutterfirma in Deutschland erwartet? Für mitgereiste Frauen (und Männer), die allein, ohne gewohntes Umfeld oder Job sind, kann der goldene Käfig grausam sein. Seelsorge, Familienberatung und Begleitung sind sehr gefragt.

Hier sind Predigten anders präsent und aktuell im fremden Kontext, da ist die Bibel ein Buch der Erkenntnis. Die Gemeinde ist ein wichtiger Faktor in dieser Stadt für die Deutschsprachigen, denn sie ist Interpret des Lebens in der Fremde, ein spiritueller Ort, Treffpunkt und Krafttankstelle. Einen Zugang zu einer Kirche gibt es nur für katholische Messen. Evangelische Gottesdienste finden in teils luxuriösen Klubhäusern statt.

Kirche in Shanghai heißt im wahrsten Sinne "Kirche Unterwegs". Eine große Plastikkiste von Ikea beinhaltet alles: Paramente, Abendmahlsgeschirr, Gesangbücher, Altarkerzen, Feuerzeug und Wein. Ohne engagierte Ehrenamtliche geht gar nichts.

Kirche reist zu den Menschen, und der Anspruch ist hoch, aber die Gemeinschaft ist wunderbar, und selbst ihr Dank ist hörbar und fühlbar.