Rainer Schadt über die Aufgabe, den Sinn und die Schmerzgrenze der Militärseelsorge

Militärdekan Rainer Schadt, 55, betreut in Norddeutschland 19 katholische Militärseelsorgerische Stützpunkte, an denen noch rund 50 000 Soldaten stationiert sind. Als Militärpfarrer war er im Einsatz in Kambodscha, Somalia, auf dem Balkan und in Afghanistan. Er ist Bundesbeamter auf Lebenszeit. Bundesweit gibt es 90 katholische und 104 evangelische Dienstellen.

Hamburger Abendblatt:

Welche Aufgaben hat der Militärseelsorge?

Rainer Schadt:

Die meiste Seelsorge findet in Deutschland in den Kasernen statt, etwa 40 Prozent macht sie im Einsatz aus. Der Pfarrer feiert Gottesdienste in den Garnisonen, spendet Sakramente, hält den Lebenskundlichen Unterricht, einen Ethikunterricht, der Soldaten sittlich und moralisch bilden soll. Wir organisieren Familienwochenenden, Urlaube und Wallfahrten. Und natürlich sind wir Gesprächspartner für die Soldaten und ihre Anliegen. Manchmal sind wir auch Ehe- und Erziehungsberater.

Gerade wenn ein Soldat zurückkommt hat er ganz andere Welten gelebt, war vielleicht täglicher Lebensgefahr ausgesetzt, und kommt hier im tiefsten Frieden an, keine Minen im Rasen, kein Scharfschütze. Da muss er erst mal wieder runterkommen. Dabei helfen wir, durch Reintegrationsmaßnahmen und natürlich durch Verständnis. Wir wissen, wovon der Soldat redet.

Welche Qualifikationen braucht ein Militärseelsorger?

Schadt:

Er muss Diplom-Theologe und als Priester oder Pastoralreferent im Dienst der Kirche sein. Ein paar Jahre Erfahrung in der Gemeindeseelsorge sind sehr nützlich. Man muss ,Hochseefischer' sein, fernab von binnenkirchlichen Strukturen agieren. Wir arbeiten an Bord von Kriegsschiffen, in Einsatzländern oder auf Truppenübungsplätzen und erleben so die ganze Bandbreite des Menschseins. Militärseelsorger dürfen nicht engstirnig sein. Sie müssen grundsätzlich den Dienst der Soldaten bejahen, auch den Dienst mit der Waffe. Sie müssen sich damit identifiziere und auch den Spagat aushalten, dass Soldaten ihr Handwerk ausüben müssen.

Der Spagat wird durch die neue Freiwilligenarmee größer. Sterben und töten gehören jetzt zum Berufsbild dazu. Können Sie das noch mitmachen?

Schadt:

Es wird mehr schmerzen und es wird schwieriger. Aber es geht ja nicht um die Eroberung von ,fremden Ländern', das könnten die Kirchen niemals mittragen. Es geht darum, dass Soldaten der Bundeswehr für die Freiheit kämpfen. Die großen Kirchen haben auch zur Fragen militärischer Gewalt in Hirtenbriefen Stellung genommen. Doch das ist zunächst unsere theoretische Grundlage. Denn Soldaten erleben, wie vermeintliche Zivilisten Patrouillen beschießen, oder ein vertrauter afghanischer Soldat mehrere deutsche tötet. Bei solchen Grenzsituationen stehe ich bei den Soldaten. Wir dürfen und werden keine Waffen segnen oder Soldaten fanatisieren. Sondern wir sorgen dafür, dass Menschen einen Raum bekommen, wo sie ihre Gefühle loswerden können. Mit wem kann denn ein 24-Jähriger sprechen, wenn er in Afghanistan tatsächlich hat kämpfen müssen? Mit seiner Freundin oder seiner Familie? Das geht nicht immer gut. Wir garantieren die absolute Vertraulichkeit. Und die Menschen bringen uns ein fast archaisches Urvertrauen entgegen. Unser Auftrag ist immer die Verkündigung des Friedens und des Heiles durch das Evangelium für die Menschen.

Also ist es auch Mission?

Schadt:

Nein, wir missionieren nicht, aber in einem solchen Umfeld, wie zum Beispiel auf einer Fregatte vor Afrika, wirkt ein guter Pfarrer natürlich schon. Hier erleben Menschen in einem dramatischen Umfeld Kirche zum Anfassen, die lebendig und fürsorglich ist. Es ist viel einfacher im Einsatz ins Gespräch zu kommen, man erlebt das Gleiche. Auch die Gottesdienste sind immer viel besser besucht als hier, die Taufen haben zugenommen. Und die Konfessionen ergänzen sich, da wird zunächst kein Unterschied gemacht. Die Ökumene ist im Einsatz weit fortgeschritten - das hat Vorbildcharakter.

Haben Sie viel mit Soldaten mit postraumatischen Störungen zu tun?

Schadt:

Ja, das werden leider mehr. Es ist ein großes Thema in den Streitkräften. Wir sind in dem Bereich auch ausgebildet. Häufig bekommen wir als erstes mit, wenn jemand PTBS-belastet ist.

Ist die Hemmschwelle zum Seelsorger zu gehen niedriger als zum Psychologen?

Schadt:

Wir haben keine Waffen und auf den Schulterklappen ein Kreuz und kein Dienstgradabzeichen wie der Truppenpsychologe. Das Kreuz ist positiv besetzt. Und die Soldaten sind eher bereit, gegenüber dem Militärpfarrer Belastungen und psychische Schmerzen zuzugeben.

Sind Sie manchmal auch sprachlos, wenn die Frage nach dem Sinn kommt?

Schadt:

Ja, danach werden wir oft im Einsatz gefragt. Da kommt man schon ins Schwitzen, aber wir sind Kirchenleute und keine politisch Verantwortliche. Und wenn eine Soldatenehefrau mich fragt, wofür ihr Mann gefallen sei, finde ich nicht immer eine Antwort.